Dr. Carl Schultz (Mai, 2013/ Ergänzungen aus April 2014 in rot)

 

[Dieser folgende Text wurde ursprünglich im April 2013 geschrieben und im Mai 2013 beendet. Im April/Mai 2014 sollte eine Überprüfung der formulierten Hypothesen erfolgen. Tatsächlich stellte sich aber heraus, dass der beabsichtigte Zeitraum zwischen der Erstformulierung und der Überprüfung zu kurz ist. Zwar sind einige der Hypothesen tatsächlich eingetreten, wie z.B. die hohe Inflationsrate bei den Lebensmittelpreisen bei ansonsten niedriger Inflationsrate, die steigende Wohnungsmieten, ein weiterer Abbau von Lebensbedingungen von alten und kranken Menschen und die Bedeutung der Migration für die mittelfristige ökonomische Entwicklung, die inzwischen z.B. auch von den Wirtschaftsweisen diskutiert wird. Für andere Behauptungen gibt es aber einfach noch keine gesicherten neuen statistischen Daten, so dass präzise Aussagen nicht möglich sind. Wieder andere Aspekte, die zentral für die Argumentation 2013 waren, wie z.B. die Höhe des Euros im Verhältnis zum Dollar, haben sich erst in den allerletzten Monaten geändert, so dass ihre Auswirkung noch nicht abzusehen ist. Ein abschließendes Urteil über die 2013 formulierte Argumentation ist damit nicht möglich, gerade weil die Entwicklung der deutschen Ökonomie zentral an der Frage hängt, wie sich der Euro-Dollar Kurs weiter entwickelt. Ein niedriger Euro wird die in diesem Text formulierten Zusammenhänge forcieren, ein steigender Euro-Dollar Kurs paradoxerweise die Zuspitzung der Disproportionalitätskrise dämpfen. Aktuell befindet sich die deutsche Ökonomie in der klassisch letzten Phase eines Aufschwungs, wo dieser durch intensivierte Bautätigkeit geprägt ist. Insofern habe ich mich entschieden, eine umfassende Überprüfung der formulierten Thesen um den Zeitraum von einem Jahr zu verschieben.

Die meisten Ergänzungen des Textes finden sich im Tabellen und Anmerkungsteil. Eher zufällig bin ich im Laufe des letzten Jahres auch auf die Debatten aus dem Bereich der Care Revolution gestoßen (z.B. Gabriela Winker, Silke Chorus und Susan Himmelweit), die zum Teil eine gewisse Ähnlichkeit mit der hier vertretenen Theorie der Disproportionalitätskrise haben, sich teilweise aber auch erheblich unterscheiden. Ich habe mich entschieden, diese Parallelität in einer Anmerkung inhaltlich zu diskutieren, weil ein ausführliches Eingehen zu einer kompletten Umstellung des Textes geführt hätte.]

 

 

I. Eine kurze Rückbesinnung

Halb hinter teilweise noch vor uns liegt eine der schwersten Krisen der Kapitalakkumulation der letzten 100 Jahre. Beginnend an den Finanzmärkten der USA ergriff diese Krise synchron weltweit die Finanz- und später auch die Realmärkte. Nach wie vor sind die Auswirkungen dieser Krise spürbar: mit Arbeitslosenzahlen weit über der 20 % Grenze in Ländern Europas, massiven Verarmungsprozessen in den USA und deutlichen Veränderungen in den ökonomischen und politischen Kräftekonstellationen der Welt. Über die Ursachen dieser Krise ist viel geschrieben worden. Die Erklärungen reichten von der finalen Überakkumulationskrise auf der einen Seite bis zur zufälligen, nur durch die Gier einzelner Personen produzierten Hypothekenkrise auf der anderen. Bis dato gibt es wenige Versuche, diese Interpretationen in Übereinstimmung mit dem realen Verlauf der Krise zu bringen. Im Kern dieser Analyse steht die These, dass die Krise Ausdruck eines veränderten Verhältnis der Kapitalfraktionen war und dass der Verlauf dieser Krise dieses Verhältnis in einen neuen strukturellen Rahmen gebracht hat. Beginnend mit den USA ist es ab der Mitte der neunziger Jahre zu einer wachsenden Dominanz des Handelskapitals gekommen (Walmartismus) und begleitend dazu zu einer Verlagerung der realen Mehrwertproduktion in Länder wie China, Korea, Vietnam. Das Auseinanderfallen der realen Mehrwertproduktion und der Konsumtion der hergestellten Waren bedeutete, dass die Reproduktion der Ware Arbeitskraft in den USA nicht mehr unmittelbar in den Akkumulationsprozess einbezogen war. Der Bevölkerung wurde stattdessen ein Kredit finanzierter Reproduktionsmodus angeboten, der im wesentlichen, aber nicht nur auf wachsende Immobilienpreise gestützt war. Diese Veränderung, die von Allan Greenspan noch bis zum Jahr 2003 massiv forciert wurde, bedeutete zusätzlich eine massiven Zuwachs an fiktiver Kapitalakkumulation im Bereich des Finanzkapitals, das immense Summen bewegte, die die Realproduktion der Welt weit überstieg. Die Krise was Ausdruck dieses geographischen und damit auch nationalstaatlichen Spannungsverhältnisses zwischen reale Kapitalakkumulation und Kapitalverwertung mit wachsenden Handels- und Leistungsbilanzdefiziten der USA und sorgte dafür, dass die scheinbare und durch die Bush Administration durch deficit spending und Militärintervention nur wenige Jahre künstlich verlängerte weltweite Hegemonie endgültig zusammengebrochen ist.

 

Die meisten Analysen der zurückliegenden Krise waren global orientiert und auf die weltweit aggregierten Zahlen der Finanz- und Realakkumulation konzentriert. Nur die wenigsten widmeten den nationalstaatlichen Besonderheiten irgendwelche Aufmerksamkeit. Insofern wurden von fast allen Krisenanalysen die differenziellen nationalstaatlichen Entwicklungsperspektiven ignoriert. Dies gilt wohl am klarsten für die ökonomische Entwicklung in Deutschland. Vor der Finanzkrise erlebte die deutsche Ökonomie eine relativ kurze Phase von ökonomischer Erholung (2005 und 2006) mit steigenden Bruttosozialprodukt und Exportzahlen, während in den Jahren zuvor die Zuwachsraten niedrig waren und eher am unteren Ende der europäischen Länder rangierten. Typische Kommentare zu dieser relativ schwachen ökonomischen Entwicklung konzentrierten sich auf den geringen Anteil des Dienstleistungssektors und hohen Anteil an industrieller Produktion und auf die relative Unterdimensionierung des Finanzsektors, was die deutschen Banken natürlich nicht daran hinderte an den dominanten Finanzmärkten wie London und New York kräftig mitzumischen. In diesen Jahren drohte Deutschland mehrfach ein Verfahren der EU wegen Verletzung der Maastricht Kriterien, weil sowohl die Rate der Neuverschuldung des Staates die 3 % Marke überschritt (xx1) als auch die Gesamtverschuldung oberhalb der festgelegten 60 % Grenze (xx2) lag. Die Arbeitslosigkeit lag über dem europäischen Durchschnitt und die Exportindustrie verlor mehr und mehr an Weltmarktanteilen. Die hohe Arbeitslosigkeit hatte zwei Gründe: einerseits die hohe organische Zusammensetzung des Kapitals, die gerade in Industrienationen chronisch zu einer Freisetzung von Arbeitskräften führt. Andererseits war die Arbeitslosigkeit aber auch ein historisches Produkt des Anschluss der früheren DDR und der Rücksiedlung von osteuropäischen Menschen mit deutschem Migrationshintergrund. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt schon auch schon klar, dass die hohe Arbeitslosigkeit auf die Dauer ein temporäres Problem bleiben würde, weil die niedrige Geburtenrate zu einem deutlichen Verlust an Arbeitskräften führen würde. Nichtsdestotrotz implizierte die hohe Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2004 eine steigende Sozialleistungsquote (xx3). Erst die Jahre 2005 und 2006 bedeuteten eine gewisse Entlastung für die deutsche ökonomische Situation, mit steigenden Exporten, sinkenden Sozialausgaben (partiell in Folge der Hartz Reformen) und sinkenden Arbeitslosenzahlen (xx4). Bereits 2007 waren dann die ersten Auswirkungen der herannahenden Finanzkrise zu spüren, die 2008 in Umwandlung zu einer Krise der Realakkumulation wurde und in Deutschland einen Einbruch im BIP von 5 % bedeutet (xx3).

 

 

II. Die deutsche Politik nach der Krise: die Bewältigung der fundamentalen Probleme der deutschen Ökonomie

Die staatliche Reaktion zu Beginn der Krise in Deutschland konzentrierte sich auf die Rettung der Banken und auf die Stabilisierung der wesentlichsten industriellen Produktionszweige. Die finanziellen Garantien, die z.B. für die HypoRealEstate gegeben wurden, sind erheblich und bewegen sich oberhalb von 100 Mrd. Euro. Anders als in den USA, wo in den Hochzeiten der Krise an die 200 Banken in einem Jahr geschlossen wurden, wurden durch staatliche Intervention alle deutschen Banken gerettet bzw. zusammengelegt. Parallel zur Stützung der Finanzinstitute kam es aber gleichzeitig zu einer Remodellierung des politischen Verhältnisses der Kapitalfraktionen. Die Zeiten, zu denen Ackermann bei Merkel im Kanzleramt seinen Geburtstag feiern konnte, waren definitiv vorbei. Die Börsenreaktion im DAX ist dafür eine klare Botschaft. Der 5 Jahresvergleich der DAX notierten Konzerne (siehe Tabelle xx5) für Ende 2012 zeigt schlagend die neuen Kräfteverhältnisse der verschiedenen Abteilungen des Kapitals mit deutlichen Einbußen für das Finanzkapital und einem fast ungebremsten Anstieg der Bedeutung des Industriekapitals. Maschinen- und Autobau sind inzwischen (wieder) die dominanten Kapitalfraktionen, während die Deutsche Bank um ihr Ansehen und die Commerzbank um ihr Überleben kämpft. Letztere konnte zwar was ihren Aktienkurs angeht seit Mai 2013 kräftig zulegen, das alte Niveau und die alte Stärke von vor der Finanzkrise ist aber noch lange nicht wieder erreicht. Nach einem so deutlichen Sieg des Maschinen- und Autobaus sah es kurz nach Beginn der Krise nicht unbedingt aus. Die USA schien besser aus der Krise zu kommen und für Deutschland wurden 2007/2008 kritische Jahre prognostiziert mit Anstieg der Arbeitslosenzahlen innerhalb von wenigen Monaten um 0.5 bis 1 Mio.

 

Die Grundzüge der deutschen Politik nach Beginn der Krise und ihre Rückwirkung auf die Krisenbewältigung haben wir mehrfach analysiert. Sie beruhten im wesentlichen auf eine ausgedehnten Streckung der Entscheidungszeiten, ob in die Krise geratenen Ländern finanzielle Hilfe gewährleistet werden, auf einer massiven Zerstörung der in diesen Ländern vorhandenen Akkumulationsregime und einer Verarmungspolitik gegenüber der Bevölkerung sowie auf dem Aufbau eines imperialen Diskurses gegenüber den von der Krise am stärksten betroffenen Ländern in der deutschen Öffentlichkeit. Die ersten beiden Elemente führten zu einer kurzfristigen Entwertung des Euros gegenüber dem Dollar im Jahre 2008 um ca. 25% bis 30% (xx6). Parallel dazu kam es zu einem deutlichen Aufschwung in der deutschen Exportindustrie speziell in nicht der Eurozone zugehörige Länder (xx7). Diese kurzfristige Folge der Verunsicherung der Kapitalmärkte gegenüber der Entwicklung des Euro Raums mit gleichzeitiger Akzeptanz der weitgehend unsinnigen Bewertung der Rating-Agenturen gegenüber politischen, d.h. nicht wirklich marktwirtschaftlichen Gesetzen unterworfenen politischen Strukturen führte schnell zu der relativen Währungsabwertung, die gleichzeitige Austeritätspolitik zu einem massiven Rückgang der europäischen Produktion und damit zu einer langfristigen Stabilisierung des Euros auf niedrigem Niveau. Genau diese Kombination sorgte für einen vier Jahre anhaltenden Erholungszyklus der deutschen Industrieproduktion dessen Ende erst jetzt 5 Jahre später langsam in Sicht kommt (xn1).

Die Beteiligung der Industriearbeiter an den Sonderprofiten (in den Jahren nach der Krise kam es in Deutschland zu Tarifverträgen, die seit längerer Zeit wieder einen realen Anstieg der Kaufkraft bedeuteten, und nicht wenige Kernbelegschaften wurden durch zusätzliche massive Sonderzahlungen in die ökonomische Offensive ihrer Fabriken eingebunden) sowie die Lancierung eines imperialhegemonialen Diskurses gegenüber den südlichen und westlichen Ländern Europas erreichten eine annähernd komplette Einbindung der Bevölkerung in die sich abzeichnenden Konturen eines neuformulierten europäischen Projekts. Besser als jede politisch-ökonomische Beschreibung wird dieses an der Berichterstattung über das Beispiel Wunsiedel deutlich (zitiert nach http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/spanier-in-wunsiedel-zwei-buergermeister-rufen-experiment-ins-leben-a-895706.html): „In Wunsiedel, einer Kleinstadt im oberfränkischen Fichtelgebirge, läuft seit vergangenem Jahr ein beachtliches Experiment: Auf der Suche nach Fachkräften hat der zweite Bürgermeister Roland Schöffel gemeinsam mit heimischen Unternehmen rund ein Dutzend Spanier aus Padrón angeworben, einer Kleinstadt in Galicien... Doch der "Wunsiedler Weg", wie Schöffel die Aktion getauft hat, ist nicht ohne Stolpersteine. Viele Fichtelgebirgler wollten nicht einsehen, dass die Stadt bei einer Arbeitslosenquote von sechs Prozent Ausländer anwirbt. Schöffel und der erste Bürgermeister Karl-Willi Beck mussten viel erklären: Dass sich die Altersstruktur in der Region gerade dramatisch änderte und Wunsiedel "demografisch gekeult" werde, wie Schöffel es ausdrückt. Und dass die Neubürger nur Jobs bekämen, die kein Wunsiedler will. Niemals dürfe ein Einheimischer erleben, dass ein Spanier ihm die Stelle wegnehme, sagt Beck... Wegen ihren persönlichen Erfahrungen scheint Europa für beide Männer noch immer eher ein Versprechen als eine Bedrohung zu sein. Solche Weltoffenheit kann ihre Heimatstadt gut gebrauchen: Immer wieder geriet sie mit Neonazi-Aufmärschen in die Schlagzeilen, weil sich hier bis 2011 das Grab von Rudolf Hess befand.“

 

Wunsiedel ist kein Einzelfall und auch nicht ohne politische Vorbereitung. So wurde Merkel schon zu Beginn der Staatsschuldenkrise in Spanien bei dem damals noch sozialistischen Präsidenten vorstellig und warb um die Migration von Facharbeitern und Ingenieuren nach Deutschland, weil diese jetzt ja in Spanien keine Arbeit mehr finden würden. Ingenieure aus Spanien, Krankenschwestern aus Portugal, Pflegekräfte aus Osteuropa und Ärzte aus Griechenland nach Deutschland heißt die deutsche Lösung für die aus der Austeritätspolitik resultierende Arbeitslosigkeit. Die Einrichtungen des Goethe-Instituts verdoppeln ihre deutschen Sprachkurse, private Sprachkurseinrichtungen haben exponentiellen Zulauf, Betreiber privater Krankenhaus- und Rehabilitationskliniken starten Anwerbekampagnen mit Kursen in deutscher Sprache nach Übersiedlung nach Deutschland.

 

Die Merkmale des neuen deutschen europäischen Projekts sind also eine Lösung des erheblichen demografischen Problems der deutschen Ökonomie (laut Vorhersagen fehlen bis zu 6 Mio. Arbeitskräfte in Deutschland bis 2025) (xx8, xn2), eine Remodellierung der Exporte und Importe innerhalb und außerhalb des Euro Raums durch Währungseffekte induzierende Austeritätspolitik sowie eine bedeutsame Senkung des Zinsniveaus, was gleichzeitig eine Aufwertung der industriellen Produktion im Vergleich zum Finanzkapital darstellt (dem Kernelement der deutschen Ökonomie im Vergleich zu den angelsächsischen Ländern) und eine strukturelle Lösung der deutschen Staatsverschuldung bedeutet. So sinkt die Zins-Steuer Quote (Relation von Zinsausgaben zu den Steuereinnahmen) seit Einführung des Euro zuvor über 14 % auf inzwischen unter 10.4 % (xx9). 2012 und 2013 gelingt es der Bundesregierung Staatskrediten ohne Zinsen aufzunehmen. Ein wesentlicher Anteil der reduzierten Staatsverschuldung geht auf die Senkung der Zinsen zurück, die der deutsche Staat zahlen muss. Alles dies wäre ohne Euro und ohne Verlängerung der Euro Krise nicht denkbar gewesen. Aber auch der Anteil, den die Hartz IV Gesetzgebung an der Lösung des Verschuldungsproblems hat, soll nicht verschwiegen werden: seit Inkrafttreten 2004 sinkt die Arbeitslosigkeit durch zunehmende prekäre Arbeitsverhältnisse, durch Ausgliederung aus dem Arbeitsmarkt und durch eine Senkung des „Transfereinkommens“ in Richtung Minimalversorgung.

Die mangelnde Tiefe der traditionellen linken ökonomischen Analyse der Krise wird am deutlichsten anhand des Vorschlags, dass das Lohnniveau in Deutschland wieder steigen müsse, um die innereuropäischen Handelsbilanzdefizite auszugleichen. Faktisch führt die deutsche Politikstrategie genau zu einem solchen Ausgleich. Steigende Importe aus anderen europäischen Ländern mit garantierter Währungsstabilität und steigende Exporte in den nicht europäischen Raum (mit faktisch abgewerteter Währung) sind Teile derselben Medaille (xx10 = xn3). Linke Analysen tendieren dazu, die Entwicklung der Importe nach Deutschland einfach zu ignorieren. Europa wird damit Lieferant für Vorprodukte, Nahrungsmittel und Arbeitskräfte, während die deutsche Industrie die zusammengebauten Autos, Maschinen und das Know-how in die gesamte Welt verkauft, was die Verluste der Exporte nach in Süd- und Westeuropa in den letzten Jahren mehr als kompensiert hat.

 

 

III. Das Ende des post-crisis German Honeymoon und zentrale Konfliktpunkte der Kapitalakkumulation

Wenn mit dieser Remodellierung der innereuropäischen Kapitalflüsse nach der Krise der Kern der Entwicklung richtig getroffen sein sollte, dann kann diese ökonomische Entwicklung als innen- und außenpolitische Neustrukturierung der von Kapital- und Warenflüssen zwischen den zwei Abteilungen der gesellschaftlichen Reproduktion gefasst werden:

 

„Wie also (die Abteilung) I das zusätzliche konstante Kapital aus seinem Mehrprodukt zu liefern hat, so liefert (die Abteilung) II das zuschüssige variable Kapital für (die Abteilung) I.“ (Karl Marx, Das Kapital Band 2).

 

In Deutschland entsteht historisch im selben Moment, zu dem sich eine erhebliche Krise der Reproduktion der Ware Arbeitskraft andeutet (demografische Krise), eine Hochkonjunktur im Bereich der Produktionsmittel erzeugenden Industrie (incl. der konzeptionellen Planung von Fabriken als wirtschaftliche Dienstleistung) und der Automobilindustrie. Diese Parallelität induziert in den nächsten Jahre eine massive Disproportionalitätskrise, die sich unterschiedlich vermittelt in den beiden Hauptabteilungen der gesellschaftlichen Reproduktion austoben wird.

Zwei Ebenen innerhalb dieser Disproportionalitätskrise sind zu unterscheiden: die erste Ebene betrifft die stoffliche Seite einer erweiterten Akkumulation in Abteilung I, die einen Transfer von Arbeitskräften voraussetzt, ohne die eine Erweiterung des konstanten Kapitals nicht möglich wäre (jedenfalls nicht innerhalb kurzer geschichtlicher Zeiträume, in denen eine deutliche Veränderung der organischen Zusammensetzung nicht zu erwarten ist). Die zweite Ebene betrifft die tendenziell mehr die Tauschwertseite: in der Abteilung I entsteht eine erhöhte zahlungskräftige Nachfrage nach natürlichen Ressourcen (Energie, Rohstoffe), die kurzfristig nicht gebremst wird (durch Gegenbewegungen aus der Abteilung II). Dadurch werden der Abteilung II nicht nur Arbeitskräfte entzogen, sondern auch stoffliche Voraussetzungen der Produktion, was die Produktion verteuert. Beide Ebenen führen gemeinsam zur Notwendigkeit einer erheblichen Akkumulation in der Abteilung II, die mit einer neuen organischen Zusammensetzung des Kapitals verbunden sein muss, um den Verlust an Arbeitskraft zu kompensieren. Eine solche wachsende organische Zusammensetzung in der Abteilung II ist aber daran gebunden, dass dort tatsächlich Arbeitsvorgänge reell subsumiert und frei neu kombiniert werden können (also durch Anwendung von Wissenschaft auf die Arbeitsprozesse in dieser Abteilung). Offen bleibt dabei aber, ob es eine solche Effektivierung der Arbeitsprozesse in der Abteilung II geben kann, die stark genug wäre, um das durch die demografische Entwicklung angeheizte Bedürfnis der Abteilung I nach Arbeitskräften befriedigen zu können.

 

Beginnen wir mit der ersten Frage, d.h. der „erzwungenen“ Akkumulation von konstantem Kapital in der Abteilung II. Diese Frage führt tief in die aktuelle marxsche Diskussion über das Problem, inwieweit die Herstellung von biopolitischer Identität innerhalb oder außerhalb kapitalistischer Verwertungsstrukturen stattfinden kann bzw. muss. Ohne in die Details der Diskussion eingehen zu wollen, so spricht vieles dafür, dass Arbeitsprozesse im Bereich von Bildung, Erziehung, Gesundheit und Pflege zwar teilweise formalisiert werden können und im Rahmen dieser Formalisierung zu einem gewissen Maße auch taylorisiert. Andererseits ist eine reelle Subsumtion im Sinne einer quasi maschinellen Produktion trotz wachsendem Einfluss von IT Technologie und Internet bis dato nirgendwo wirklich erfolgreich gewesen (xn4). So hat im Gesundheitswesen die Einführung des Diseases Related Groups Systems zwar zu einer Senkung der Liegedauern, nicht aber zu einer wirklich revolutionären Umgestaltung der Arbeitsstrukturen geführt. Pflegetechnologien, die ernsthaft Arbeitskraft ersetzen können, sind bis dato nicht erkennbar, selbst nicht in Japan, wo diese Forschung sicherlich am weitesten vorangetrieben ist. Das Gesundheitswesen und der Pflegebereich wären aber zentrale Felder für eine wachsende organischen Zusammensetzung des Kapitals, weil sie angesichts der demografischen Entwicklung zunehmend Arbeitskraft binden werden. Im Zeitraum von 2008 bis 2011 ist z.B. im Gesundheitswesen die Zahl der Arbeitskräfte um 6 % gestiegen, im privaten Pflegebereich mit der entsprechenden Abhängigkeitsverhältnisse von osteuropäischen weiblichen Migrantinnen vermutlich sogar um 10 % (siehe die Beschäftigtenzahlstatistik Destatis) (xn5).

Die Frage, inwieweit der Dienstleistungssektor per wachsender organischer Zusammensetzung den technologischen Produktionssprüngen der übrigen Sektoren Stand halten konnte und kann, lässt sich aber global und weniger theoretisch durch einen einfachen Vergleich beantworten (xx11). Dieser zeigt, dass die Produktivität im Dienstleistungsbereich in den letzten 2 Jahrzehnten kaum mehr als um 1 % pro Jahr gestiegen ist, zumeist deutlich weniger, während in den übrigen Bereichen Steigerungen von über einem Prozent die Regel waren. Speziell seit Mitte der neunziger Jahre nimmt die Beschäftigtenrate zu und die Produktivitätsrate ab (xx12).

 

Ein wirklicher Produktivitätssprung im Bereich des Dienstleistungssektors, mit Ausnahme von Kommunikation und Informationsvermittlung, ist also nicht zu erkennen; die aus dem spezifischen Akkumulationsmodell der deutschen Ökonomie erforderte Anhebung der organischen Zusammensetzung wird in wesentlichen Sektoren der Abteilung II damit nicht stattfinden. Wie sieht es mit der notwendigen Migration von variablen Kapital, d.h. von Arbeitskräften zwischen den Abteilungen aus? Schon vor der Krise hatte die Bundesregierung begonnen, in der Entwicklung der Universitäten der relativ großen Zahl von sozialwissenschaftlichen, pädagogischen und sonstigen geisteswissenschaftlichen Abschlüssen durch eine generelle MINT Offensive gegenzusteuern. Allein zwischen 2007 und 2011 ist die Zahl von ingenieurwissenschaftlichen Abschlüssen um 50 % gestiegen, der von Informatikern um immerhin 33 % (BUndesagentur für Arbeit: Kurzinformation Frauen und MINT-Berufe Dezember 2011) (xx13). Aktuell wird vermehrt um Frauen für MINT Berufe geworben, weil dort noch Zuwachsraten zu erwarten sind. Der Bereich der freiberuflichen wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen ist nach der Krise, d.h. ab 2009, innerhalb dreier Jahre um 8 % bis 8 % gestiegen (Destatis, Erwerbstätige 2009-2011) und gehört damit zu dem echten Boom Bereich des postcrisis German Honeymoons.

 

Eine vergleichbare Entwicklung hat es im Bereich der Pflege (Abteilung II) nicht gegeben, wo die Stellenzunahme nur statistischer Natur ist [„Die Zahl der Beschäftigten in der Pflege stieg 1999-2009 um ca. 200.000 oder 23 %, die Zahl der Teilzeitbeschäftigten hingegen um ca. 210.000 oder 60 %. Die vielfach in der Öffentlichkeit vertretene Auffassung, der Pflegebereich sei „Wachstumsbranche“ und „Jobmotor“ erscheint vor diesem Hintergrund eher zweifelhaft.“ Simon, deutscher Pflegerat, 2011]. Die offizielle Krankenhausstatistik schreibt gar einen Rückgang der Vollzeitpflegekräfte zwischen 2000 und 2010 von 26000 aus, bei der Stellenzahl insgesamt (also incl. Teilzeitstellen) von 8000. Trotzdem ist die Zahl der behandelten Personen im Krankenhaus, wo die weitaus überwiegende Zahl der Pflegekräfte arbeitet, zwischen 1995 und 2010 von 15.8 Mio. auf 17.6 Mio. gestiegen. Die daraus resultierenden Folgen für das Gesundheitswesen sind bekannt. Die Statistik der Burnout Fälle zeigt mit die höchste Inzidenz unter den Pflegeberufen (neben den Erziehungsberufen). Auf 1000 Pflegekräfte fallen laut AOK Statistik zwischen 217 und 262 Arbeitsunfähigkeitstage wegen Burnout (je nach erreichtem Berufsabschluss). Übertroffen wird diese Häufung nur noch von SozialarbeiterInnen, die bei der gleichen Grundeinheit auf 272 AU-Tage kommen – Tendenz in beiden Fällen steigend. Generell hat sich die Inzidenz des Burnouts in den 8 Jahren seit 2004 verachtfacht und ist bei den AU-Tagen sogar auf das vierzehnfache erhöht (siehe Statistica Burnout Fälle und AU Tage). Auch wenn Diagnosegewohnheiten dafür eine gewisse Rolle spielen werden – diese Entwicklung zeigt wie keine andere die Folgen der Akkumulationsgeschwindigkeit in Abteilung I, d.h. den relativen Transfer von Arbeitskräften zwischen den Abteilungen bei gleichzeitig erhöhter Beanspruchung der Beschäftigen in der Abteilung II durch die demografische Entwicklung. Das Statistische Bundesamt schätzt in einer Veröffentlichung zum demografischen Wandeln, dass bis 2020 bei gleichbleibender Entwicklung die Zahl der Krankenhausfälle auf 18.5 Mio. und 2030 auf knapp 19 Mio. steigen wird (Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Demografischer Wandel in Deutschland, Heft 2, 2008).

 

Das Gesundheitswesen ist keine Ausnahme: im Bereich des Einzelhandels ist die Zahl der Vollzeitbeschäftigen zwischen 2000 und 2007 um 200.000 gefallen, die Teilzeitbeschäftigtenzahl nur um 100.000 gestiegen. Auch wenn der Umsatz im Einzelhandel in diesen Jahren nicht gestiegen ist (xx14), so bedeutet das doch den Verlust von 150.000 Vollzeitstellen bei gleicher Arbeitsbelastung. Überstunden, getarnt als Arbeitsvorbereitung und -nachbereitung vor und nach dem Ladenschluss sind im Einzelhandel ubiquitär. Insgesamt steht der Einzelhandel im Mittelpunkt des Angriffs des Kapitals wie Pleiten und Fastpleiten bei Schlecker, Otto-Versand und Karstadt dokumentieren – d.h. überall dort, wo in langer Auseinandersetzung Tariflöhne erkämpft und Betriebsräte installiert wurden – und der von den Arbeitgebern einseitig gekündigte Manteltarifvertrag, um Lohnsenkungen bei nicht ausgebildeten Verkäuferinnen durchzusetzen. Die Zukunft des Einzelhandels liegt in der Zentralisierung bis hin zu künstlichen Einkaufsstädten und im Internethandel, der weitgehend ohne Tarifbindung organisiert werden kann, wie das Beispiel Amazon zeigt. Vergessen darf in dieser Aufzählung der Mobilisierung und Demobilisierung von Arbeitskraft auch nicht die „kleine“ Landwirtschaft: in Deutschland gingen allein zwischen 2007 und 2011 22.000 Höfe verloren – allesamt in einer Größe unter 100 Hektar und dass, obwohl mit dem Bioboom kleinere Betriebe wieder eine gewisse Bedeutung gewonnen haben. Das Schicksal der bäuerlichen Kleinbetriebe ist Schuldenknechtschaft gegenüber den Banken, um mit der Zentralisierung der Flächen und Produktion mitzuhalten mit folgender Phase von Überarbeitung der gesamten Familie, dann Aufgabe der Höfe, Verkauf der Landflächen an Großinvestoren und Wechsel in andere Produktionszweige.

 

Akkumulation in Abteilung I bedeutet aber nicht nur den Transfer von Arbeitskräften, sondern auch den Transfer von stofflichen Gütern zwischen den Abteilungen. Mehr Arbeitskräfte in Abteilung I müssen von weniger Arbeitskräften in Abteilung II ernährt werden und mehr Produktion in Abteilung I bedeutet auch wachsende Aneignung von Gütern wie Energie und stofflichen Vorprodukten, die auch in der Abteilung II gebraucht werden. Z.B. bei der Energie ist es politisch zu einer weitgehenden Aussparung der Beteiligung von Abteilung I an den Kosten ökologisch erzeugter Energie (an der „Energiewende“) gekommen, die weitgehend der Bevölkerung aufgelastet werden bzw. als Inflation der Preise für Nahrungsmittel erscheinen. Inflation im Bereich der Nahrungsmittel wird aber auch durch die wachsende Aneignung von Grundflächen für die Bioenergieproduktions und damit dem Entzug dieser Flächen aus der Nahrungsmittelproduktion erzeugt. Die Umwandlung von landwirtschaftlicher Produktionsfläche zum Anbau von Mais für Biogasanlagen vollzieht sich mit praktisch ungebrochener Geschwindigkeit. „Die Stromerzeugung aus Biomasse hat sich seit Inkrafttreten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im Jahr 2000 mehr als verzehnfacht und ist damit stärker gewachsen als die Stromerzeugung aus den übrigen Erneuerbaren Energien. Insgesamt wurden 2011 20.1 Prozent des deutschen Stromverbrauchs durch Erneuerbare Energien gedeckt. Biomasse alleine deckte 6.1 Prozent des deutschen Stromverbrauchs“ [Link nicht mehr verfügbar auf www.unendlich-viel-energie.de, allerdings noch im Internet-Archiv web.archive.org]. Infolge dieser zweier Faktoren liegt die Inflationsrate für Lebensmittel seit 2012 zwischen 4 % und 8 % (Destatis, aktuelle Tabellen zur Preisentwicklung), mit steigender Tendenz und abhängig von den wechselnden Extremklimaereignissen (xn6). Last, but not least: der massive Druck auf die süd-, ost- und westeuropäischen Arbeitskräften zur Migration in den Norden bedeutet Wohnungsnot bzw. steigende Mietpreise in den Zentren der Kapitalakkumulation. 

Als Fazit können wir also festhalten, dass die Finanzkrise ab 2009 zu einer Remodellierung des deutschen Akkumulationsmodells mit Senkung des Euros durch Austeritätsprojekt im Süden Europas, mit Umorientierung des deutschen Exports und der deutschen Importe, mit Zugriff auf die Arbeitskräfte aus dem südlichen Europa führt, die weitgehend auf die Abteilung I der gesellschaftlichen Reproduktion und auf „dauerhafte“ Konsumgüter wie Autobau und ähnliches ausgerichtet ist. Diese Neuausrichtung trifft auf eine Reproduktionskrise der Ware Arbeitskraft („demografische Entwicklung“) und beginnt im wachsenden Maße variables Kapital der Abteilung II zu entziehen. Dadurch sollte es eigentlich zu einer steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals und einer reellen Subsumtion der Arbeitsprozesse kommen, was aber aufgrund der mangelnden Plan- und Zerlegbarkeit der Arbeitsabläufe in Abteilung II vermutlich nicht gelingen wird. Die Folge ist eine wachsenden Intensivierung der Arbeit, eine latente und zunehmende Inflation im Bereich der Lebensmittel und der Wohnungsmieten. Gleichzeitig werden die Beschäftigten in Abteilung I durch Reallohngewinne, Sonderzahlungen und ideologische Angebote in ein imperialhegemoniales europäisches Projekt eingebunden. Alles dies zusammen muss notwendigerweise zu einer erheblichen Disproportionalitätskrise führen. Eine Krise allerdings, die selbst in Abteilung II mit wachsender Intensität der Ausbeutung, folgenden Gesundheitsschäden und weniger Chancen an der Beteiligung von relativer Mehrwertproduktion keineswegs nur eine einzige subjektive Reaktion zulässt. Diese schwankt zwischen Widerstand und durch Segmentierung der Arbeitsplätze bzw. Ausgrenzung von Betroffenen aus Leistungsanforderungen. Stichwort Segmentierung: In vielen Bereichen der Pflege ist es inzwischen üblich, Probleme alter Menschen durch Einsatz osteuropäischer Frauen mit 24 Stunden Dauerbereitschaft und in Form persönlicher Abhängigkeitsverhältnisse zu lösen (bei frappant niedriger Entlohnung von ca. 1000,- Euro im Monat brutto). Stichwort Segmentierung II: im gleichen Zeitraum, wo die Pflegestellen im Krankenhaus massiv gestrichen wurden, wurde die Zahl der Arztstellen deutlich erhöht und finanziell aufgewertet (nicht aber organisatorisch, Ärzte sind inzwischen kaum mehr als technische Angestellte, die Krankenhausentwicklung vollzieht sich anhand ökonomischer Plandaten, xn7). Stichwort Ausgrenzung: Während einerseits die Bundesagentur für Arbeit beim Personal spart, kommt es andererseits zu einer erheblichen Zahl von „Hartz IV“ Prozessen wegen einer Vielzahl von Fehlbescheiden, die überwiegend von den Betroffenen gewonnen werden. Stichwort Ausgrenzung: zunehmend gehen Krankenhausärzte dazu über in einer Art Graubereich zu entscheiden, ob ältere Kranke, die in die Akutaufnahme kommen, überhaupt ein Bett bekommen oder nicht, um dadurch eine gewisse Steuerung der Überlastung zu erreichen. Es bleibt abzuwarten, ob dieser letztere Weg der Verweigerung von Leistung gegenüber den schwächsten Gliedern in der Kette (analog zu den einkalkulierten Fehlentscheidungen der Bundesagentur für Arbeit) die „Lösung“ der zu erwartenden Disproportionalitätskrise darstellen wird, oder ob es im Bereich der Abteilung II zu massiven Abwehrkämpfen gegen die Verdichtung von Arbeit und die Verlängerung der Arbeitszeit kommt.

 

 

IV. Neue Bündnisse und die Chancen für eine Gegenoffensive

Die Antwort des Kapitals auf die sich entwickelnde Disproportionalitätskrise lässt sich einfach skizzieren. Sie bedeutet Segmentierung der Arbeitsmärkte und Wiedererlangung der Kontrolle über rebellische Teile durch Zugriff auf Migration und Lebensarbeitszeit. Statt Reduzierung der Arbeitszeit angesichts wachsender Produktivität und parallel dazu einer ökologisch katastrophalen Übernutzung der Rohstoff- und Klimaressourcen geht es um vermehrte absolute Mehrwertproduktion – nicht mehr unbedingt am selben Arbeitstag, dafür aber ganz massiv in Form der absoluten Verlängerung der Lebensarbeitszeit, die früher beginnen (z.B. durch Reduktion der Schulausbildungsjahre, durch Einführung des Bachelor als vollgültigem Abschluss, durch geplante zweijährige Berufsausbildungen), später enden (z.B. durch Erhöhung der Altersgrenze für den Rentenbezug, durch erhöhte Zugangsbedingungen für den Bezug von Frührente) und weniger häufiger unterbrochen soll (z.B. durch Ausbau des Kita Systems, um „wertvolle“ weibliche Arbeitskraft umfassender im Produktionsprozess zu halten, durch Verschärfung des Sanktionssystems bei Hartz IV mit über einer Mio. verhängten Sperrzeiten, um die Menschen in jede Form von Arbeit zu zwingen oder durch berufsbegleitende Studiengänge). Die Antwort des Kapitals, induziert durch den stummen Zwang der Verhältnisse, bedeutet aber auch die wachsende Ausgrenzung der „Überflüssigen“, die für die Mehrarbeitsphantasien nicht mehr tauglich sind. Mit Senkung des Rentenniveaus, d.h. einem Sinken der realen Kaufkraft der Renten zwischen 2000 und 2011 von um die 20 % (je nach Wohnort im Westen oder Osten Deutschlands) (xn5). Mit schleichender Senkung des Satzes für Hartz IV und Grundsicherung, der von vornherein nicht richtig berechnet wurde und keine adäquate Anpassung an die Inflation erfahren hat. Mit Rationierungsdiskursen im Gesundheitssystem und Aufweichung des Euthanasieverbots (xn8). Und mit Trennung zwischen „guten“ Migratinnen, die als qualifizierte Beschäftigte in den Produktionsprozess integriert werden können, und schlechte Arbeitsmigraten wir „Roma“ und „Asylanten“, vor denen der deutsche Sozialstaat zu schützen ist.

 

Was kann diesem Projekt entgegengesetzt werden? Als erstes wäre damit aufzuräumen, dass die „Lohnzurückhaltung“ in Deutschland Ursache für die europäische Krise ist. Diese Orientierung bedeutete, die deutsche Bevölkerung noch mehr an dem imperialhegemonialen Projekt zu beteiligen, einem Projekt, das ideologisch schon schwer genug zu bekämpfen ist. Auch sollte die Fokussierung auf den Besitzindividualismus „von unten“ mit dem Ziel der gerechten Umverteilung von den „Einkommensstarken“ zu den „Einkommensschwachen“ aufgegeben werden. Sie ist nicht zielführend, weil sie den auf den individuellen Konsum abzielt, sie ist nicht diskursfähig, weil es in der direkten Konfrontation individueller Einkommensverteilung zu keiner gesellschaftlichen Bewegung kommen kann und sie ist aus ökologischer Sicht schädlich, weil es nicht um einen Zuwachs an Konsum gehen kann (sondern um ein Beschneiden des Konsums bei den Menschen mit hohem Einkommen). Sicherlich sind die Kämpfe um höhere Hartz IV Sätze richtig und wichtig zu führen: sie sollten aber als Teilelement einer neuen politischen Offensive verstanden werden.

 

Das Kernelement der aktuellen und sich entwickelnden Disproportionalitätskrise ist die forcierte Umsteuerung von variablen Kapital in die Produktion von fixen Kapital statt in die Produktion von Gütern, die für die menschliche Reproduktion gebraucht werden. Das Kernelement dieser Krise ist damit ein massiver Angriff auf die Nichtarbeit, d.h. auf jede Form von Zeit, Subjektivität und Objektivität, die nicht im direkten Verhältnis zur kapitalistischen Akkumulation steht (xn9). Für die Gewinnung einer politischen Antwort auf die Krise lässt sich diese Nichtarbeit auf drei Ebenen skizzieren, die allesamt auch Nichtidentität bedeuten, also keine einfache Homogenisierung der politischen Auseinandersetzung mehr ermöglichen: auf einer moralisch-ideologischen, einer subjektiv-psychischen und einer finanziell-materiellen Ebene.

 

Moralisch-ideologische Bündnisse werden da möglich sein, wo Menschen einer kompletten Reduktion ihres/des Lebens auf Lohnarbeit ablehnend gegenüberstehen bzw. eine Reduktion von Natur auf die Kategorien von Herrschaft und Ressource von Arbeit innerlich wie äußerlich verweigern. Oder bei Menschen, die bei sich selber oder Angehörigen erleben, wie Segmentierung und Ausgrenzung aus dem gesellschaftlichen Arbeitszusammenhang bei Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Alter funktionieren. Die Disproportionalitätskrise, vor der die deutsche Ökonomie steht, ist eben keine generelle Krise der Einkommen oder physischen Verelendung (außer in bestimmten Segmenten der Gesellschaft). Sie ist eine ökonomische Krise der sinnhaften gesellschaftlichen Reproduktion, d.h. einer beschleunigten Produktion von Produktionsmitteln, die dabei die Basis für die gesellschaftliche Reproduktion verschmälert. Die Antwort auf eine solche Krise kann keine rein ökonomische sein, sondern muss ganz wesentlich moralische und ideologische Elemente umfassen. Es geht um die Verteidigung bzw. Neugewinnung eines Humanitätsbegriffs, des Umgangs mit biografischen Phasen der Nichtarbeit wie Jugend und Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Fremdheit, aber auch mit Aspekten der Natur (wie z.B. die Ablehnung industrieller Fleischproduktion, die Verteidigung von Naturreservaten gegen industrielle Ausbeutung). Diese sind als Phasen der Nichtarbeit notwendigerweise politisch nicht homogenisierbar und auch nicht in den traditionellen Strukturen der Linken wie Gewerkschaften, Parteien organisierbar. In Termini einer „Klassentheorie“ bleibt diesbezüglich höchstens feststellbar, dass die moralisch-ideologische Antwort auf die Krise immer dort auch Rückhall unter den Beschäftigten finden, wo diese parallel zur Intensivierung der Arbeit noch Reste eines „handwerklichen“ Qualitätsbewusstsein in sich tragen (z.B. bei den Kleinbauern, im Gesundheitswesen, im Erziehungswesen).

 

Auf subjektiv-psychischer Ebene spiegelt sich das Erleben der Krise paradigmatisch in der Kategorie des Burnouts als Reaktion auf die Dominanz von Arbeit und Belastung. Burnout kann subjekttheoretisch als erzwungene, aber inhaltsleere „Verweigerung“ gegenüber der Intensivierung der Arbeit in der Abteilung II interpretiert werden. Nicht der innere Konflikt wie in der Neurosentheorie, sondern das bloße nicht mehr Können stellt das Inkommensurable gegenüber der kapitalistischen Lohnarbeit dar. Zweierlei ist für die Frage neuer politischer Bündnisse hierbei bemerkenswert. In der klassischen linken Theorie bildet die Kollektivierung durch die Arbeit bei gleichzeitiger materieller Verelendung den Ausgangspunkt für die Entstehung von Klassenbewusstsein und Organisationsfähigkeit. Burnout impliziert aber individuelle psychische Verelendung, die nicht mehr durch ein dem kapitalistischen Produktionsprozess externes Milieu aufgefangen wird. Insofern ist damit das kapitalistische Arbeitssystem „absolute“ Umgebung geworden: Parallelwelten wie Familie und Milieu bilden keine Ausgangspunkte für Über-Ich Anforderungen mehr, die biographische Ausgangspunkte eines gegenüber der Arbeit abweichenden inneren Konflikts darstellen würden. Politisch betrachtet bedeutet dies, dass organisatorische Strukturen instabil bleiben, da ihnen kein innerpsychisches, nicht auf Lohnarbeit bezogenes Pendant mehr zur Seite steht. Innerhalb der heterogenen Gruppe der „Nichtarbeiter“, die dadurch bestimmt ist, dass sich nicht (mehr) ihre Ware Arbeitskraft verkaufen bzw. anwenden kann, scheint deshalb am ehesten die Gruppe der Rentner diejenige zu sein, die in der Lage ist, kontinuierliche Organisationsarbeit zu leisten.

 

In der dritten, finanziell-materiellen Bestimmung von „Nichtarbeit“ ist diese durch eine spezifische Form von Einkommen definiert. Am direktesten betroffen von der Disproportionalitätskrise sind die Kreise der Bevölkerung, die soziale Transfereinkommen als wesentliche finanzielle Quelle für ihr Leben beziehen. Ob Maastricht-Kriterien oder EU Stabilitätsabkommen – alle diese Maßnahmen dienen und dienten dem einen Ziel der Deckelung und Senkung jeder Form von sozialstaatlichen Einkommen. Gesenkte bzw. gedeckelte Sozialeinkommen treffen im Rahmen der Disproportionalitätskrise auf Inflation im Bereich der Nahrungsmittel, bei den Mieten und zukünftig auch bei gesundheitsrelevanten Leistungen. Genau dieses ermöglicht neue Koalitionen zwischen Studenten mit Bafög Bezug, Rentnern, Hartz IV Empfängern und solchen von klassischer Sozialhilfe. Diese Koalitionen werden zum Inhalt die Verteidigung der vernünftigen Grundstandards des Commons haben und sich in dieser Diskursrichtung mit den Beschäftigten des Gesundheitswesen, des Erziehungswesen und der ökologischen Landwirtschaft treffen können. In den Aktionen und Diskursen wird es auch um die Entwicklung eines neuen Internationalismus gehen, in dessen Mittelpunkt die Verweigerung rassistisch-ethnischer Spaltungen stehen muss - als Antwort auf das imperialhegemoniale Projekt für Europa und getrieben von der großen Zahl der Migranten, die in Deutschland auf Lebensverhältnisse stoßen werden, die keineswegs dem entsprechen, was sie sich erwartet haben. Im Unterschied zu den früheren politischen Kämpfen, die eine rein politische Organisation zur Voraussetzung zu haben schien, sind die neuen Kämpfe zwar auch abhängig von dem Aufbau dauerhafter organisatorischer Strukturen, aber eher solchen, die Antworten auf die alltägliche Versorgungsprobleme der Nichtarbeit geben (mit ökologisch angebauten Nahrungsmitteln, mit Wohnraum, mit Kollektivität des Handelns und Denkens). Es ist aktuell nicht daran zu denken, „politische Mehrheiten“ zu organisieren. Es geht vielmehr um das Organisieren von handlungsfähigen Einheiten, von Diskursen, die neue Bündnisse ermöglichen und von konstitutionellen Inhalten, die über die bloße Tagespolitik hinausreichen. Und schon das wird angesichts der Einbindung weiter Teile in das neue imperialhegemoniale Projekt Deutschlands für Europa und seinem Gegenstück, der Mehrarbeit und dem Burnout in Abteilung II schwierig genug sein.

 

(xx1)

(xx2) 

(xx3)

(xx4)

(xx5) DAX Aktienkurse letzte 5 Jahre

 

5 Jahreswerte
Aktien

Name

damals

aktuell

±

±%

 

Lanxess

32,30

67,23

34,94

108,17

 

BMW St

40,58

71,72

31,14

76,75

 

Volkswagen Vz

99,88

170,80

70,92

71,00

 

SAP

35,75

61,04

25,29

70,73

 

Henkel Vz

38,77

61,14

22,37

57,69

 

Deutsche Bank

87,51

32,65

-54,86

-62,69

 

Deutsche Börse

129,56

45,38

-84,18

-64,97

 

RWE St

94,09

31,28

-62,81

-66,76

 

E.ON

47,39

14,20

-33,19

-70,04

 

Commerzbank

26,06

1,45

-24,61

-94,45

 (xx6) Euro-Dollar Wechselkurse letzte 5 Jahre

(xx7) Exporte non Euro Raum 

(xn1)

Die stark exportabhängigen deutschen Maschinenbauer klagen zwar noch nicht laut, zumal sie teils außerhalb des Euroraums produzieren. Trotzdem betont Olaf Wortmann, Konjunkturexperte des Branchenverbands VDMA: „Wir sehen wettbewerbsneutrale Preise bei einem Euro-Kurs von 1,20 bis 1,25 Dollar. Bei 1,38 Dollar spüren wir Gegenwind.“ Einzelne Aufträge könnten wegfallen oder kleiner ausfallen.

(xx8)

Demografischer Wandel in Deutschland, 2009

Die Berechnungsvarianten:

(xn2)

Inzwischen ist die erzwungene Zuwanderung auch berechnungsrelevant für das Frühjahrsgutachten der Wirtschaftsweisen 2014, die deshalb ihre Prognosen deutlich gegenüber den früheren Szenarien anheben. Bedauerlicherweise werde die Zuwanderung aus Südeurapo aber bald wieder abnehmen, weil es den Ökonomien dort wieder besser gehen werde (was mittelfristig tunlichst bezweifelt werden darf). Trotzdem schreiben sie ab S. 55 ff:

(xx9) 

(xx10=xn3)

Nur aus dem Euroraum haben die Importe seit der Finanzkrise mehr zugenommen als die Exporte (Abbildung aus dem Frühjahrsgutachten 2014). Mit anderen Worten: Die europäischen Warenströme werden remoduliert nach in Richtung Rohstoffe und Vorgüter nach Deutschland und von dort ins nicht Euro Ausland. Eine ausführliche Analyse findet sich bei Konicz: http://www.heise.de/tp/artikel/40/40737/2.html, wobei dieser weniger die Bedeutung des Euro-Dollar Kurses berücksichtig als direkte politische und Unternehmensentscheidungen.

(xx11)

(xx12)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(xn4)

Eine in Teilen ähnliche Argumentation wird von AutorInnen aus dem Bereich der Care Revolution entwickelt. Insbesondere in dem Aufsatz von Susan Himmelweit („Can we afford (not) to care“,2005) weist diese auf die mangelnde Möglichkeit der Produktivitätssteigerung im Care Sektor hin und auch auf einige dieser entgegenwirkende Faktoren wie z.B. die gesellschaftliche Organisation der Sorge (z.B. wenige KindergärtnerInnen für mehr Kinder, wodurch die Produktivität gegenüber der familiären Organisation der Kinderbetreuung erhöht wird). Ein zentrales Argument ihres interessanten Aufsatzes fasst sie selber folgendermaßen zusammen:

 

„The same forces of innovation and competition that tend to increase productivity in a capitalist economy will therefore result in the opportunity cost of care rising, as the time taken to produce any specific amount of care stays the same, but that required to produce a typical bundle of other goods and services falls.“ (S. 7)

 

So sehr diese These auf der einen Seite der hier entwickelten Disproportionalitätskrise entgegenkommt, muss auf der anderen Seite festgehalten werden, dass Susan Himmelweit hier einen Fehler in der Betrachtung der zu vergleichenden Mengen macht: zwar verringert sich für ein einzelnes Produkt durch seine industrielle Produktion die ihn ihm vergegenständlichte Arbeitszeit, das Verhältnis der in Abteilung I und II ausgegebenen Arbeitszeit wird dadurch aber nicht berührt. Mit anderen Worten: das Verhältnis der in den beiden Bereichen ausgegebenen gesamtgesellschaftlichen Arbeitszeit ändert sich nicht dadurch, dass die Arbeit, die zur Herstellung eines bestimmten Produkts benötigt wird, sinkt. Trotzdem hat Himmelweit mit der Beschreibung des Problems Recht, dass die Care (Teil der Abteilung II) Produktion der Abteilung I Produktion, was die Produktivität betrifft, notwendig hinterher hinkt.

 

Im Unterschied zu der rein feministischen Betrachtung von Susan Himmelweit ist aus Marxscher Sicht zudem darauf zu beharren, dass der Wert einer Arbeitskraft im Care Bereich genauso wie in der Abteilung I durch ihre Reproduktionskosten bestimmt ist (und nur sehr vermittelt und indirekt durch das Verhältnis der in den beiden Abteilungen der Reproduktion verausgabten gesamtgesellschaftlichen Arbeitszeit). Insofern sollte bei zunehmender industrieller Produktion die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, die zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft aufgewendet werden muss, sinken, solange deren Reproduktion nicht nur aus Care Tätigkeit besteht. Typisches Beispiel hierfür wäre das massive Sinken des Anteils der landwirtschaftlichen Tätigkeit an der gesellschaftlichen Gesamtarbeit und in der Folge an den Ausgaben der einzelnen Haushalte, wodurch die notwendige Arbeitszeit zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft sinkt.

Für den Care Bereich gilt darüber hinaus, dass diese Arbeit ökonomisch meist als einfache Arbeit mit entsprechend niedrigem Lohn organisiert, reproduziert und getauscht wird, auch wenn man das moralisch gerne anders sehen wollte. Genau deshalb kommt es auch nicht zu einer individuellen Verteuerung der Care Tätigkeiten, die eigentlich aus der Argumentation von Himmelweit folgte, wenn - wie sie richtig argumentiert - der Anteil des Care Bereichs an der gesellschaftlichen Arbeitszeit wenig veränderbar ist, weil dieser mit Marxscher Terminologie gesprochen nicht reell subsumierbar ist.

 

Trotzdem muss bei Gelingen von Akkumulation in Abteilung I die Abteilung II Arbeitskräfte transferieren, jedenfalls dann, wenn die Produkte der Abteilung I auf kräftige Nachfrage stoßen. Susan Himmwelweit kennzeichnet ganz treffend die für die Realisierung des Transfers von Arbeitszeit vorhandenen Rationalisierungspotenziale im Care Bereich:

 

„However, where productivity is lower in unpaid than in paid care, productivity can increase through a movement of care from the unpaid to the paid economy. Such a secular movement has been taking place, and it is likely that there are still unrealised gains in productivity to be made from further moves in this direction. While this movement continues, the proportion of the paid workforce working in caring must rise; correspondingly, so must the proportion of GDP devoted to caring.“

 

Allerdings ist auch hier wieder auf einen Fehler zu verweisen: wenn die Erziehung von Kinder in Gruppen eine Verminderung der investierten Arbeitszeit in diesem Bereich darstellt, dann sollte dadurch Zeit freigesetzt werden, die auch in der Abteilung I verausgabt werden wird. Insofern ist die Folgerung, dass aus dem Übertrag von Care Handeln aus dem nicht formell entlohnten Sektor in den entlohnten Sektor ein wachsender Anteil von Care Tätigkeit am Bruttosozialprodukt folgt, nicht nachvollziehbar. Die prinzipiell sehr komplexe Beziehung zwischen gesellschaftlicher Entlohnung zuvor unbezahlter Care-Arbeit und der Entwicklung von Mehrwertproduktion im Verhältnis der beiden Abteilungen der gesellschaftlichen Reproduktion wird im übrigen in dem Buch von Silke Chorus ausführlich diskutiert (S. 260ff). Da die Bestimmung des Werts der Ware Arbeitskraft durch das Verhältnis der beiden Abteilung eben nur sehr indirekt berührt wird, bleibt es bei einem niedrigen Lohn im Care Bereich und bei einem wachsenden Arbeitsdruck bzw. einer Re-Externalisierung der Arbeitsinhalte in den nicht bezahlten gesellschaftlichen Sektor, was letztlich als Aufgabe von Care Qualitätsstandards zu beobachten ist und sich im wachsenden Maße als Folge der Disproportionalitätskrise durchsetzt (siehe den letzten Teil dieses Papiers). Auf diese Form der „Lösung“ der Care Krise hat Susan Himmelweit in ihrem Artikel im übrigen ausführlich hingewiesen (und auch darauf, dass das gesellschaftliche und politische Erosionprozesse nach sich ziehen kann).

 

 

(xn5)

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Chancen zur Gewinnung von Fachkräften in der Pflegewirtschaft, 2012, S: 16) stellt hierzu zynisch wie realistisch fest:

 

„Anders betrachtet müsste, bei einer angenommen Elastizität von 0,18 bzw. 0,11 Prozentpunkten, der Lohn um 206 % bzw. 338 % steigen, um den in der RWI-Studie für 2030 errechneten Mehrbedarf an Pflegepersonal (240.000 VZÄ) zu decken. Ausgehend vom "Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst der Länder – Pflegepersonal 2012" für Altenpfleger angegebenen Monatsverdienst, lässt sich ein durchschnittlicher Bruttostundenlohn von 14,64 € berechnen. Unter Berücksichtigung der prognostizierten benötigten Lohnsteigerungen, müsste der Bruttostundenlohn dementsprechend auf durchschnittlich 30,16 € (206 %) bzw. 49,48 € (338 %) steigen. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Finanzierungsstruktur der Pflege in Deutschland erscheinen derartige Lohnsteigerungen politisch wie gesellschaftlich nur schwer vorstellbar.“

 

 

(xx13)

 

(xx14)

Einzelhandelsumsatz in jeweiligen Preisen, Originalwerte, Messzahlen 2010=100

(xx15)

 

 

(xn6)

Die Inflationsrate für Lebensmitttel lag für den Zeitraum Mai 2013/April 2014 fast jeden Monat oberhalb von 3 %.

 

 

(xn7)

 

Die Fallzahl, die pro Arzt im Krankenhaus seit 1991 versorgt werden musste ist kontinuierlich gefallen, die pro Pflegekraft versorgt werden muss, ist kontinuierlich gestiegen.

 

 

(xn8)

Im Jahr 2013 meldeten 121.784 Bundesbürger Privatinsolvenz an. Das entspricht einem Rückgang um 6,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie "Schuldenbarometer 2013" der Wirtschaftsauskunftei Bürgel.

"Die Verbraucherinsolvenzen sinken in Deutschland das dritte Jahr in Folge. In den letzten sieben Jahren gab es nur 2008 weniger Privatinsolvenzen in Deutschland", fasst Bürgel Geschäftsführer Dr. Norbert Sellin die Studienergebnisse zusammen.

In der aktuellen Analyse gibt es jedoch auch einen negativen Aspekt:

In Deutschland müssen immer mehr ältere Bundesbürger Privatinsolvenz anmelden. Die Fallzahlen in der Altersgruppe 61 Jahre und älter steigen im Vergleich zum Jahr 2012 um 8,4 Prozent. In allen weiteren betrachteten Altersgruppen sinken die Privatinsolvenzen. Als Hauptursachen für Privatinsolvenzen älterer Bundesbürger gelten Krankheit, gescheiterte Selbstständigkeit, Arbeitslosigkeit bzw. reduzierte Arbeit und Tod des Partners.

Im übrigen ist die Altersgruppe mit dem zweit niedrigsten Sinken der Schuldenquote diejenige zwischen 51 und 60.

 

 

(xn9)

Zum Umgang mit alten Menschen siehe den folgenden Link als auch die sinkende Liegezeit im Krankenhaus im untenstehenden Diagramm:

http://www.fr-online.de/politik/altersforscher-thomas-klie--sterbehilfe-senkt-die-moralische-schwelle-,1472596,26026374.html

 

(xn10)