Neue Studien zu Gewalt und Gewalterfahrung (Zusammenfassung von Helmuth)

1. Maus-Beobachtungen I: Aggressivität (Journal of Neuroscience, 2025)
2. Sowjetische Kriegsveteranen und russische Mafia (Promotion von E.E. Hoge, Berkeley, 2023)
3. Beteiligung US-amerikanischer Veteranen der Irak- und Afghanistan Kriege an Terroranschlägen (CSIS Analyse, 2021)
4. Maus-Beobachtungen II: Übertragung von Trauma Erfahrung (Science Advances, 2023)
5. Häufigkeit von psychischen Störungen bei englischen SoldatInnen des Irak- und Afghanistankriegs (JAMA, 2006)
6. Geschlechtsspezifische Häufigkeit Posttraumatischer Belastungsstörungen in Deutschland
7. Maus-Beobachtungen III: Die Wirkung von Kindheit auf die Wirkung von Schockerlebnissen (Aggress Behav. 2022)
8. Versuch eines Fazits
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1. In der Zeitschrift Journal of Neuroscience (Okt., 2025) wird über folgendes Experiment berichtet:

eine Maus (grün, siehe unten) sieht, wie eine ihr nahestehende andere Maus (rot) eine dritte Maus (schwarz) angreift, die in den Käfig gesetzt wird. 
Als Alternative (unten links): die beobachtende angreifende Maus (blau) ist der grünen Maus unbekannt.

Nach dreißig Minuten kommt eine dritte Maus in den Käfig der grünen Maus (unten rechts).

Die Folge der Beobachtung: Wurde eine nahe stehende Maus bei einer Aggression beobachtet, dann wird die beobachtende grüne Maus häufiger auch aggressiv, sobald eine dritte Maus auftritt (unten links rote Balken im Vergleich zu blauen). Und diese Aggressivität tritt quasi sofort und unvermittelt auch (unten rechts roter Balken im Vergleich zum blauen).

 

[Journal of Neuroscience 2025, https://doi.org/10.1523/JNEUROSCI.1018-25.2025 ]

2. Die Dissertation von Emily Hoge an der Universität Berkeley aus dem Jahr 2023 untersuchte, wie Veteranen des sowjetisch-afghanischen Krieges Ende der 1980er Jahre mit ihren Kriegstraumata rangen. Während des Übergangs Russlands zur Marktwirtschaft schlossen sich Teile von ihnen dann zu kriminellen und halbkriminellen Organisationen zusammen, da der russische Staat der 1990er Jahre sich auf die Schaffung einer rein-kapitalistischen Gesellschaft konzentrierte und wenig Interesse am Schicksal schutzbedürftiger Menschen hatte. Die Veteranen des Krieges in Afghanistan unterschieden sich jedoch von anderen Menschen durch ihre Gewalterfahrung und nutzten Erpressung, Geldwäsche und Auftragsmorden, um über die Runden zu kommen. Dabei griffen zu besonders extremen Formen der Gewalt, die die Traumata widerspiegelten, welche sie seit dem Afghanistan Krieg in sich trugen. Diese Gewaltbereitschaft und -ausübung ließen sie immer mächtiger werden und ermöglichten es ihnen später, Teile des Staatsapparates zu werden.

[Hoge, E. E. (2023). Combat Brotherhood: Disabled Soviet Afghan War Veterans, Organized Crime, and the Mafia State. UC Berkeley. ProQuest ID: Hoge_berkeley_0028E_22375.]

3. Eine Studie des US-amerikanischen Center for Strategic and International Studies (2021) stellt eine wachsende Beteiligung von aktiven US-amerikanischen Soldaten und Reservisten an Terroranschlägen und -plänen in den USA fest. Laut den vorhandenen Daten verübten Afghanistan und Irak Veteranen des US-amerikanischen Militärs aber noch mehr Anschläge und Verschwörungen als aktive Soldaten und Reservisten – darunter 10 Prozent aller inländischen Terroranschläge und Verschwörungen seit 2015. Kriegsveteranen waren nach der Wahlniederlage von Trump 2021 auch maßgeblich beteiligt an dem Sturm auf das Kapitol und sind in rechtsextremen, gewaltbereiten Gruppen überproportional vertreten
[Studie „The Military, Police, and the Rise of Terrorism in the United States“ https://www.csis.org/analysis/military-police-and-rise-terrorism-united-states]

4. In einer Studie zu einer Art von Vererbung von Traumata bei Mäusen untersuchten 2023 Battaglia und KollegInnen die Auswirkung einer frühen Trennung der Maustiere von ihren Müttern. Die Generation F0 (siehe Abbildung unten) besteht aus den Tieren, die von ihren Müttern getrennt wurden (rote Balken) oder normal aufwuchsen (blaue Balken). F1 und F2 sind die beiden folgenden Generationen, die komplett normal aufwuchsen (kein Unterschied in der Lebenserfahrung dieser beiden Generationen mehr). Gemessen wurde die Angstreaktion auf Hitzereize, die Balken stellen die Geschwindigkeit dar, mit der ängstlich-reflexartig reagiert wurde. Deutlich wird, dass auch noch die dritte Generation von Mäusen ängstlicher ist, wenn in dieser Linie eine traumatische Trennung von der Mutter erfolgte, obwohl diese selbst gar nicht erlebt wurde, sondern von der Großmutter.


Science Advances, 2023 Vol 9, Issue 40. DOI: 10.1126/sciadv.adi8750

5. Englische SoldatInnen, die aus dem Irakkrieg zurückehrten, litten zu 19.1. % unter psychischen Gesundheitsproblemen, nach der Rückkehr aus Afghanistan zu 11.3 %. Die Häufigkeit, mit der sich psychische Probleme einstellten, hing eng zusammen mit den Kriegserfahrungen (insbesondere dem Erleben von Kampfsituationen), Inanspruchnahme psychologischer Betreuung sowie dem Ausscheiden aus dem Militärdienst. Immerhin 35 % der Irakkriegs-SoldatInnen nahmen im Jahr nach ihrer Rückkehr irgendeine Form von psychischer Beratung oder Behandlung an und bei 12 % wurde auch eine psychische Erkrankung diagnostiziert. Bei SoldatInnen, die zudem eine körperliche Verletzung erlitten, stieg die Häufigkeit diagnostizierter psychischer Störungen auf 35 %.

JAMA. 2006;295:1023-1032

6. Die Lebenszeithäufigkeit für eine Post Traumatische Belastungsstörung als Folge eines Gewalterlebens liegt in Deutschland zwischen 1.5 % und 2.3 %. Die Wahrscheinlichkeit, irgendwann im Leben darunter zu leiden, bewegt sich bei Frauen zwischen 10 und 12 %, bei Männern zwischen 5 bis 6 %. Die auslösenden Gewalterlebnisse unterscheiden sich: Frauen werden häufiger Opfer von Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch, Männer häufiger Opfer körperlicher Gewalt. Als Reaktion darauf werden traumatisierte Männer eher gewalttätig gegen andere, während traumatisierte Frauen eher gewalttätig gegen sich selbst werden.

https://www.bundestag.de/resource/blob/490504/8acad12ffbf45476eecdfeff7d6bd3f4/wd-9-069-16-pdf-data.pdf

7. Nordman und Kollegen untersuchten bei männlichen Mäusen die Wirkung von sozialen Kontakten in der Kindheit und Gewalttrauma Erlebnissen im erwachsenen Alter. Für die Untersuchung gab es vier Gruppen: GH = Aufwachsen in der Gruppe, SI = soziale Isolation in Kindheit, GH+FS = soziales Aufwachsen plus Schockerlebnis, SI + FS = isoliertes Aufwachsen plus Schockerlebnis. Die Abbildung unten zeigt das Ergebnis, wie sich die Tiere verhielten, wenn sie in einer neutralen Umgebung eine Woche nach dem Schockerlebnis auf andere Tiere trafen:

Egal, ob man die Dauer der Aggression (Bild c), die Zahl der Angriffe (Bild d) , die absolute Dauer des aggressiven Verhaltens (e), oder die Schnelligkeit mit der aggressiv reagiert wurde Bild (f) betrachtet: Mäuse, die in der Kindheit isoliert aufwuchsen, waren auch noch eine Woche nach einem Schockerleben spontan aggressiv gegenüber anderen Tieren (jeweils roter Balken rechts), ein Verhalten, das bei allen anderen Tieren nicht zu beobachten war, insbesondere nicht bei denen mit sozialen Kontakten in der Kindheit und ohne Schockerleben.

PMC: Aggress Behav. 2022 Feb 4;48(3):365–373. doi: 10.1002/ab.22022

8. Der Weg zu einer sozialen Gesellschaft - gegründet auf Gleichheit, Fürsorge und freier Kooperation - ist offensichtlich eng verbunden mit einem Kampf um langanhaltende gewaltfreie Zustände zwischen Nationen und unter Menschen.

Sprung zum Gil Scott-Heron: Work For Peace, youtube videoclip