Stellungnahme des Linken Forums Oldenburg zu Griechenland

Unsere Stellungnahme wurde am 25.03.2015 um zwei Forderungen ergänzt, siehe weiter unten unter 'Weiterlesen'!

Das Linke Forum begrüßt die Beschlüsse der neuen griechischen Regierung

Es sieht  die ersten Maßnahmen der Koalition als ersten Schritt an, das Elend vieler Griechen zu mindern und das Land aus der tiefen Krise zu führen. Laut Pressemeldungen wurde Folgendes beschlossen:

* Der Mindestlohn soll schrittweise von 586 auf 751 € brutto erhöht werden.

* Niedrige Renten sollen wieder erhöht werden.

* „Alle Bürger, auch die, die wegen des Verlustes ihrer Arbeit keine Versicherung mehr haben,“ (FR 10.2.15)  sollen in staatlichen Kliniken behandelt werden.

* Familien, die ihre Rechnung nicht mehr bezahlen können, sollen wieder Strom erhalten.

* Kein Arbeitsloser soll „die Wohnung verlieren, weil er Kredite nicht mehr bezahlen“ kann (FR 10.2.15).

* Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst werden bei Putzfrauen, Schulwächtern, Lehrern rückgängig gemacht. Das staatliche Fernsehnetzwerk ERT soll erneut seinen Dienst aufnehmen.

* Kinder von Migranten, die in Griechenland geboren und aufgewachsen sind, erhalten die griechische Staatsbürgerschaft.

* Privatisierungen der Unternehmenszweige, die gewinnbringend sind, werden sofort gestoppt, wie zum Beispiel die Privatisierung des Stromversorgers DEH.

* Die Privatisierung des Hafens von Piräus wurde bereits gestoppt.

* Die Besteuerung soll von den ärmeren zu den reicheren Griechen verlagert werden, Steuerflucht und Korruption sollen bekämpft werden.

* Die besonders unmenschlichen Gefängnisse dritten Grades werden abgeschafft.

* Die Polizei soll auf Demonstrationen und Fußballspielen unbewaffnet auftreten.

Kürzungen brachten Armut und Obdachlosigkeit

Ein Drittel der GriechInnnen lebt an oder unter der Armutsgrenze. Sozialhilfe gibt es in Griechenland nicht, Arbeitslosengeld nur ein Jahr, dann drohen Obdachlosigkeit und Hunger; zudem geht dadurch auch die Krankenversicherung verloren.  Alleine in Athen leben über 30.000 Menschen auf der Straße. Hunger ist in Griechenland längst kein Randphänomen mehr. Hunderttausende stehen tagtäglich in Suppenküchen Schlange. Nicht wenige von ihnen haben zwar noch Arbeit, können sich aber dennoch das tägliche Essen nicht mehr leisten. Tausende Haushalte haben inzwischen keinen Strom mehr, viele können nicht mehr heizen, verzweifelte Eltern bringen ihre Kinder in Heime.

Vor diesem Hintergrund wirkten sich die Griechenland aufgezwungenen Kürzungsmaßnahmen verheerend aus: Die Pensionen wurden um bis zu 30% gesenkt, angesichts einer Durchschnittspension von 617 € im Jahre 2007. Der gesetzliche Mindestlohn wurde um 22% auf 548 Euro netto (für ArbeitnehmerInnen unter 25 Jahre auf 490 Euro netto) gekürzt. Das Branchenkollektivvertragssystem wurde durch mehrere Gesetze de facto ausgehebelt. Zudem wurde der Kündigungsschutz aufgeweicht und die Arbeitszeit vollkommen flexibilisiert. Laut OECD haben die Eingriffe zu einem Rückgang der Löhne um 25% geführt, die Einkommen sanken um 30%.

Infolge des Teufelskreises aus Sparprogrammen, Rezession und sinkenden Staatseinnahmen sank die Wirtschaftsleistung des Landes seit 2008 um ein Viertel, die Investitionen verringerten sich um 60%. Allein im Jahr 2011 ist die Zahl an Unternehmensinsolvenzen um über 33% angestiegen. 2012 waren in Griechenland über 1,2 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet. Dies entspricht einer Quote von 25,4%, bei den Unter-25jährigen sind es 58%. In den Jahren 2008 bis 2012 hat sich die Anzahl der Arbeitslosen mehr als verdreifacht. Durch die drastische Senkung des Arbeitslosengeldes im Februar 2012 von 461 Euro auf 322 Euro wurden Millionen von GriechInnen weiter in die Armut getrieben.  Die hohe Arbeitslosigkeit und die drastischen Kürzungen im Bereich der sozialen Sicherheit haben zur massiven Prekarisierung und zur Erosion der Arbeitsverhältnisse geführt.

Medizinische Versorgung gefährdet 

Auch der Gesundheitsbereich war massiv von Einsparungen betroffen. Öffentliche Krankenhäuser und Gesundheitszentren wurden geschlossen, die Selbstbehalte für PatientInnen erhöht, Medikamente gab es nur gegen Barzahlung. Auch die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst sind von der Austeritätspolitik betroffen. Bis 2016 sollten 150.000 Arbeitsplätze abgebaut werden; zudem mussten die Beschäftigten alleine bis 2011 Gehaltseinbußen von 20-30% hinnehmen. „Ein Drittel der Griechen hat keinen oder nur notdürftigen Zugang zu medizinischer Versorgung. Ihnen eine Krankenversicherung zu finanzieren, würde 300 bis 400 Millionen Euro kosten, also nur einen Bruchteil der zehn Milliarden, die sonst für Schuldenbedienung draufgehen.“ (FR 2.2.15)

Privatisierungen

Als weiteres Herzstück der griechischen Austeritätspolitik galt die Privatisierung aller (teil-) staatlichen Infrastruktureinrichtungen und Unternehmen. Neben Häfen, Flughäfen und staatlichen Industriebetrieben sollten u.a. die öffentlichen Energieversorger, die Post, die Bahn und die kommunale Wasserversorgung in Athen und Thessaloniki privatisiert werden. Es bestand die Gefahr, dass Teile der Grundversorgung eingestellt oder für viele unerschwinglich werden würden.

Schulden-Kreislauf

Doch alle Privatisierungs- und Sparmaßnahmen haben die Schuldenlast Griechenlands nicht verringert, im Gegenteil. Trotz letztem Schuldenschnitt, der die Schulden vorübergehend verringerte, haben Krise, Sparprogramme, Schuldendienst und Zinszahlungen die Schulden von 129 % im Jahr 2009 auf aktuell 175 % der Wirtschaftsleistung erhöht. Im Vergleich zu 2009 stieg die Schuldensumme von 299,7 auf 315 Mrd. € an. Verwunderlich ist das nicht, denn nach einer Studie von Attac aus dem Jahr 2013 ist nicht einmal jeder vierte Hilfseuro im griechischen Staatshaushalt angekommen. Jeder zweite floss postwendend zurück an die Gläubiger – also an ausländische Banken, Hedgefonds und Versicherungen. In Summe sind rund drei Viertel aller Hilfsgelder unmittelbar oder mittelbar im Finanzsektor versickert. So sind im Jahr 2013 von 206,89 Mrd. € 28,13%%, also 58,2 Mrd. €, zur Rekapitalisierung der griechischen Banken eingesetzt worden; fast die Hälfte, 101,33 Mrd. €, ging an die Gläubiger des griechischen Staates, und nur 22,46%, 46,46 Mrd. €, kamen dem griechischen Staatshaushalt zugute. Mittlerweile, nach dem letzten Schuldenschnitt, gehen Hilfszahlungen gleich wieder retour an die staatlichen Gläubiger  und ihre Institutionen, nämlich an IWF, EZB und EU-Staaten.

Ausweg 

Eine Fortsetzung der Troika-Anweisungen und -Auflagen würde eine Fortsetzung dieser Misere bedeuten, die Beendigung der Zusammenarbeit mit der Troika ist der einzige Ausweg: Laut Plan der Troika soll Griechenland in den nächsten fünf Jahren 20% seiner Wirtschaftsleistung zur Bedienung seiner Schulden aufbringen. Aber der griechische Staat braucht einen größeren Anteil vom Bruttosozialprodukt, um die dringendsten Nöte lindern und notwendige Investitionen vornehmen zu können. Das geht nur bei Reduzierung der Zins- und Schuldzahlungen: So fordert der griechische Finanzminister, dass Athen statt zu einem Haushaltsüberschuss in Höhe von vier Prozent der Wirtschaftsleistung „nur“ zu 1 bis 1,5 % verpflichtet werde, „um Geld frei zu machen für Sozial- und Wirtschaftsprogramme“ (vgl. FR 10.2.15, S. 14). Dieser Überschuss muss für Zinszahlungen verwandt werden.

Die Regierung muss dabei unterstützt werden, Steuern von den steuerflüchtigen Millionären einzutreiben. Nur mit Hilfe anderer Staaten können Kontenbewegungen ins Ausland nachvollzogen werden.

Alle, die jetzt laut fordern, Griechenland solle die Verträge einhalten, missachten, dass sich dabei die Schulden weiter vergrößern würden. Es geht den Austeritätspolitikern offensichtlich nicht darum, Schaden vom deutschen Steuerzahler abzuwenden, sondern darum, zu verhindern, dass auch andere Euro-Länder die Linderung der sozialen Nöte vor die Bedienung der Kapitalmärkte stellen.

- Achim Sohns - Ergänzung unserer Stellungnahme, 25.03.2015:

Wir fordern die sofortige Überweisung der von Griechenland an die Europäische Zentralbank gezahlten Zinsen an die griechischen Sozialversicherungen, damit jede Griechin / jeder Grieche hinreichend Geld zum Leben, zum Bezahlen einer Wohnungsmiete und zur kostenlosen Nutzung des Gesundheitswesens hat. Dies sollte der erste Schritt zur Unterbrechung der irrwitzigen Wechselüberweisungen von Krediten und Zinsen zwischen der EZB, dem griechischen Staat und den griechischen Banken sein und zum Ausdruck bringen, dass bestimmte soziale Grundrechte nicht verhandelbar sind, sondern zum Minimalkonsens eines einigen Europas gehören.

Für uns gilt: Das griechische Problem ist nicht die griechische Bevölkerung, sondern die aktuelle ökonomische Struktur der EU. Die Lösung dieses Problems ist nicht eines, dass die griechische Bevölkerung (alleine) zu bewältigen hat, sondern sie liegt in dem gemeinsamen Kampf aller für soziale und demokratische Grundrechte in ganz Europa. In dieser Hinsicht unterstützen wir jede Form von gegenseitiger Hilfe von unten, z.B. beim Aufbau und Erhalt von selbstorganisierten Gesundheits- und Sozialzentren oder Betrieben.

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Mitglieder des Linken Forums Oldenburg haben in den Tagen nach der Wahl in Griechenland intern über die obenstehende Stellungnahme intensiv, kritisch und kontrovers diskutiert. Die Stellungnahme und die erste Reaktion darauf dokumentieren wir hier auf unserer Seite. Unter Umständen werden auch weitere der bereits erfolgten Reaktionen hier an dieser Stelle veröffentlicht und können dann nachgelesen werden. Die interne Diskussion wird fortgesetzt.

1. Reaktion

Kommentar von Prof. Dr. Helge Peters (unredigierter Text):

[V]ielen Dank für die nochmalige Übermittlung des Entwurfs einer Stellungnahme. Er veranlasst mich zu folgendem Kommentar:

1. Ich weiß nicht, ob man eine Regierung nur loben soll, wenn sie zwar richtige Forderungen stellt - und dies tut  die griechische Regierung m. E. - , aber sehr wenig dazu sagt, wie sie diese Forderungen verwirklichen möchte. Ich meine also, es wäre ein entsprechender Hinweis in einer Stellungnahme angebracht.

2. Ich bin nicht sicher, ob man von "aufgezwungenen Sparmaßnahmen" sprechen kann. Griechenland sind auf dessen Antrag Kredite gewährt worden, die an Bedingungen - eben jene Sparmaßnahmen durchzuführen -geknüpft waren. Die damalige Regierung hat diese Bedingungen akzeptiert. Das war ein Deal, den man als eine Beinahe-Erpressung bezeichnen kann. Die damalige griechische Regierung musste ihn wohl akzeptieren. Die Alternative wäre wahrscheinlich ein Staatsbankrott gewesen. Und sicher sind die Kreditgewährungen nicht karitativen Erwägungen gefolgt. Vor allem deutsche Bankinteressen standen auf dem Spiel. Außerdem bot der drohende Staatsbankrott Griechenlands der EU die Chance, Kapitalverwertungsinteressen in Griechenland besser zur Geltung zu bringen.

Trotzdem scheint mir die Rede von "erzwungenen Maßnahmen" nicht richtig. Die damalige Regierung hat die Kredite erbeten.

Was mich hindert, hier richtig empört zu sein, ist der Umstand, dass die EU  völlig erwartungsgemäß agiert hat. Hat jemand karitative Gesten erwartet? Hat jemand die bedingungslose Kreditgewährung erwartet? Natürlich: Man kann sich täglich über den Kapitalismus empören.

3. Es fehlt in dem Entwurf eine Kritik an den Vorgängerregierungen Griechenlands. Sie haben durch ihre Privilegierungen oberer Schichten, aber eben auch durch ihre - die griechische Produktivität und die damit zusammenhängende "Bonität" nicht beachtende -  Schuldenpolitik die Katastrophe herbeigeführt, die zwar zum Wahlerfolg der Linken beigetragen hat, diese Partei aber vor schier unlösbare Aufgaben stellt.

Ich bin trotzdem für Kredite, "Schuldenschnitt" und dergleichen.

Einerseits aus schwachen karitativen  Impulsen: Griechenland ist arm.

"Schwach" sind diese Impulse, weil - wie wir alle wissen - es Gesellschaften gibt - in Zentralafrika z. B. - die - wenn denn "materielles Elend"  das Argument ist - unserer Unterstützung noch eher bedürften als Griechenland.

Der Entwurf hat also m. E. einen eurozentrischen Akzent.

Andererseits aus starken politischen Impulsen: Die Kreditgewährungen und dergleichen könnten dazu beitragen, in Griechenland eine sozialistische Gesellschaft zu begründen.