Sechs Thesen der ALSO zur Care-Revolution

I. Ein Ende der neoliberalen Hegemonie in Europa?

Der europäische Traum von der Annäherung der Lebensverhältnisse in den unterschiedlichen Ländern ist durch die Krise auf den Boden der kapitalistischen Tatsachen zurückgeholt worden. Protzigem Reichtum und Wohlstand

in den wenigen Wachstumsregionen stehen Arbeitslosigkeit, Armut und Verelendung vor allem in den südlichen Ländern krass gegenüber. Die Krise und die daran anschließenden Spardiktate vor allem gegenüber den südeuropäischen Ländern verursachen zusätzlich zur Migration aus den Kriegs- und Krisenregionen neue Wellen der innereuropäischen Migration, die durch die zusätzliche Nachfrage des Kapitals nach Arbeitskräften in den wenigen noch wachsenden Akkumulationszentren nicht mehr aufgefangen werden können und zu rechtspopulistischen Abwehrreaktionen weiter Bevölkerungsteile in vielen Ländern geführt haben. Die neoliberale Umstrukturierung der europäischen Ökonomie mit ihrer klassischen Krisenbewältigungstrategie der diktatorischen Austeritätspolitik erzeugt die massenhafte Migration selbst, die nun ihre politische Integrationsfähigkeit untergräbt. Vor diesem Hintergrund kann der Brexit als aktueller Ausdruck für das Ende der Hegemonie des neoliberalen Integrationsmodells auf der politischen Ebene interpretiert werden. Europa zerfällt, der Brexit und erstarkende rechtspopulistische Bewegungen in vielen Ländern zeigen, dass nationalistische und rechtspopulistische Propaganda und die Abschottung innerhalb der nationalen Grenzen für viele Menschen attraktiv erscheinen.

II. Ein Anfang für eine neue Hegemonie: Freiheit, Gleichheit, Grundversorgung?

Zumindest die exportorientierten Abteilungen des Kapitals wissen aber, und Linke sollten es wissen, dass es ein Zurück zu wirksamen nationalstaatlichen Regulierungen und merkantilistischer Wirtschaftspolitik nicht gibt.  In dieser Umbruchsituation entstehen offene Räume für die „Rückkkehr der Jedi-Ritter“. Weniger pathetisch ausgedrückt könnte die Zukunft eines linken Projekts für Europa weniger in einer Kritik an formalen Bürokratie- und Demokratiedefiziten, einem ökologisch und politisch fragwürdigen Wachstumskeynesianismus oder gar einem „small is beautifull“ linken Kuschelnationalismus liegen als vielmehr positiv in der  Formulierung gleicher, staatlich garantierter Lebensbedingungen.1

III. Das Hartz-System: Symbol für gesellschaftliche Umstrukturierung?

Wenn so als „große“ Orientierung auf europäischer Ebene sich Räume öffnen für soziale und politische Konzeptionen und Forderungen in Richtung commons2, so bleibt als eigentliche Aufgabe, daraus „kleine“ Schritte für die politische Alltagspraxis zu entwickeln. Aus unserer Perspektive als Erwerbsloseninitiative spielt dafür bis heute das Hartz-System eine wesentliche Rolle. Die Umsetzung der Hartz-Gesetze hat seit 2005 das Verhältnis zwischen Einkommen und Sozialleistungen gravierend verändert. Der Niedriglohnsektor wurde ausgeweitet, die Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse ist gestiegen und der Zwang zur Annahme jeglicher Arbeit wurde weitgehend durchgesetzt. Die Schere zwischen den Einkommen ist dabei in den letzten Jahren weiter auseinandergegangen.Vierzig Prozent der Grundsicherungsberechtigten sind erwerbstätig, aber ihr Einkommen muss aufgestockt werden, während die Reallöhne vor allem im industriellen und industrienahen Dienstleistungsbereich seit einigen Jahren wieder zunehmen. Trotz hoher Beschäftigungszahl und offiziell geringer Arbeitslosigkeit hat sich die Zahl der Langzeiterwerbslosen seit 2005 kaum verringert. In der täglichen Auseinandersetzung um Erwerbslosigkeit und Hartz-IV wird darüber entschieden, wie Millionen Menschen in dieser Gesellschaft leben. Welche Arbeit zumutbar ist für welchen Lohn, wieweit der Schutz der Privatsphäre gewährleistet wird, welche Wohnungen angemessen sind, wie sie und ihre Kinder versorgt werden, mit wieviel Angst und der Erwartung von Demütigungen sie in
Jobcenter und Sozialämter gehen müssen setzt die Maßstäbe nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern für das gesamte Zusammenleben in dieser Gesellschaft. Dabei geht es nur vordergründig um den unmittelbaren Umgang mit Erwerbslosen. Hartz IV wirkt effektiv als Einschüchterung bei allen Arbeitskämpfen. Es wirkt als Einschüchterung gegenüber allen, die berechtigte Ansprüche an die Gesellschaft stellen wollen, die nicht oder nur für teures Geld über den Markt befriedigt werden können. Hartz IV symbolisiert den kontemporären Begriff der Arbeit in der kapitalistischen Marktwirtschaft. Betriebsräte und Gewerkschaften im industriellen und industrienahen Dienstleistungsbereich sind nach wie vor überwiegend auf prozentuale Einkommensteigerungen für Stammbelegschaften fixiert (bei gleichzeitiger Ignoranz von Leih- und Werkvertragsarbeiter_innen im selben Betrieb – Dörre hat das als „exklusive Solidarität“ analysiert) und befinden sich darüberhinaus im Dilemma, massiv Widerstand gegen die Angriffe des Kapitals leisten zu müssen, aber nur mit einer Politik der „Standortsicherung“ Arbeitsplätze retten zu können. Aber die zunehmenden Kämpfe und Streiks in den Bereichen der Care-Ökonomie (Gesundheit, Pflege und Erziehung), in den Sektoren von Nahrungsmittelproduktion, -handel und -verkauf (Bauern, Schlachthöfe, Discounter), bei Eisenbahner_innen, Pilot_innen und Ärzt_innen verweisen zunehmend auch auf Ansprüche an die Qualität und eine gerechtere Verteilung von gesellschaftlich notwendiger bezahlter und unbezahlter Arbeit. Hartz IV heißt offiziell „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ – zu unrecht! Aber das Thema eines Einkommens unabhängig von der kapitalistischen Erwerbsarbeit steht damit auf der Tagesordnung. Ohne Widerstand, Gegenwehr und Organisierung der Erwerbslosen und Ausgegrenzten selber wird es kaum einen ernsthaften Ausbruch aus der kapitalistischen Totalisierung der Erwerbsarbeit geben. In der Nicht-Arbeit der Ausgegrenzten und Überflüssigen liegt unmittelbar neben der gesellschaftlichen Stigmatisierung gewissermaßen die positive Utopie eines gerechteren Begriffs der Arbeit und einer Vergesellschaftung ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Widerstand zu leisten, offensiv und selbstbewusst Ansprüche an die Gesellschaft zu stellen, muss (wieder neu) gelernt werden. Empörung und Wut über die eigene Situation und die entwürdigende Behandlung auf den Ämtern haben zugenommen – aber ohne Unterstützung sind die Betroffenen kaum in der Lage, sich gemeinsam und organisiert zu wehren. Die politische und organisatorische Kunst bestände aktuell darin, organisatorische Verbindungen zwischen diesen Bereichen zu schaffen: das Care-Revolution-Netzwerk?

IV. Alte Gegenstände und neue Bündnisse

Diese sozialökonomische Entwicklung hat für Erwerbslosenprojekte zu zweierlei Konsequenzen geführt: Erstens haben mehr als zehn Jahre Hartz-System die Frage von Menschenrechten, Würde und gesellschaftlicher Teilhabe neu auf die Tagesordnung gesetzt. Aktueller Ausdruck dafür ist die Kampagne der Erwerbslosennetzwerke „AufRecht bestehen“, mit der die Angst und Demütigung der Betroffenen beim Besuch der Jobcenter, der entwürdigende und entrechtete Umgang angeprangert und das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum eingefordert werden. Positiv ist eine mögliche Ämterpraxis in der „Charta der Selbstverständlichkeiten“ beschrieben.3 Zweitens verlagern sich Sozialberatung und Aktionen vom Gegenstand der „reinen“ Erwerbslosigkeit zunehmend in den gesellschaftlichen Zwischenbereich, wo sich gering bezahlte und oft prekäre Arbeit mit sozialen und familiären Einkommen vermischen, ohne dass eine dauerhafte Perspektive stabiler Lebensverhältnisse für die Menschen daraus erwächst. Dieser Zustand der Unsicherheit, tendenziellen Verarmung und des Ausschlusses von gesellschaftlicher Teilhabe ist inzwischen wohl für fast ein Drittel der Bevölkerung bittere Realität. Die ALSO hat vor diesem Hintergrund seit 2009 begonnen, Kontakte zu gesellschaftlichen Bewegungen zu knüpfen, deren Anliegen eng mit der Frage eines menschenwürdigen Mindesteinkommens verbunden sind, die radikale Kämpfe führen und die offen sind für Bündnisse. Das waren zunächst die Milchbauern, die 2007/2008 ähnlich wie heute um ihre Existenz kämpften und sich offen und internationalistisch gegen den exportorientierten Bauernverband stellten, die AbL (Abeitsge
meinschaft bäuerliche Landwirtschaft) sowie das Agrarbündnis Niedersachsen. Es geht dabei um die Verbindung sozialer und ökologischer Fragestellungen in der globalen Nahrungsmittelproduktion, darum, die Rechtfertigung aufzubrechen, die agrarindustrielle Massenproduktion billiger Lebensmittel und der Dumpingwettbewerb der Discounter seien notwendig, um die „Weltbevölkerung“ zu ernähren, und dafür, dass Menschen mit geringen Einkommen sich Lebensmittel überhaupt leisten könnten. Unser Ziel bei den gemeinsamen Kampagnen ist, die soziale Frage und ein menschenwürdiges Einkommen für alle Menschen in die Diskussion einzubringen, das auch für fair, nachhaltig und bäuerlich produzierte Nahrungsmittel reicht und die Ausbeutung von Menschen und Tieren in der Lebensmittelproduktion stoppt. Im Zuge dieser Kampagnen haben wir Kontakte zu Gewerkschaften, kirchlichen Organisationen und sozialen Einrichtungen bundesweit (Bündnis für ein menschenwürdiges Exstenzminimum) und im Oldenburger Umland aufgebaut. Durch Aktionen wie die Blockade eines Schlachthofes gegen das Outsourcing halber Belegschaften zugunsten billiger Werkvertragsarbeiter_innen zusammen mit Gewerkschaften und Kirchen, eine Hafenblockade gegen Futtermittelimporte aus der „3. Welt“ und die Beteiligung an regionalen wie überregionalen Aktionen und Demonstrationen (z. B. „Wir haben es satt“ Anfang jedes Jahres in Berlin) entwickelt sich langsam ein informelles Netzwerk sozialer und ökologischer Initiativen in der Region.

V. Sozialberatung für alle

Die Fortsetzung dieser zwei Entwicklungslinien besteht aktuell in der Ausweitung der unabhängigen Sozialberatung der ALSO auf die an die Stadt Oldenburg angrenzenden Landkreise Vechta und Oldenburg, in denen sich Zentren der industriellen Fleisch- und Nahrungsmittelproduktion Europas befinden. Bis vor kurzer Zeit fast unbemerkt von der Öffentlichkeit wurde dort in den vergangenen fünfzehn bis zwanzig Jahren mit migrantischen Arbeitskräften vor allem aus Russland, Rumänien, Bulgarien und Polen über Leiharbeit und Werkverträge ein riesiger Billiglohnarbeitsmarkt aufgebaut, der die Arbeitskräfte in zum Teil unvorstellbare Ausbeutungs- und Lebensverhältnisse zwingt. Inzwischen zeichnen sich erste kleine Erfolge darin ab, Vertrauen in die migrantischen Communities hinein zu schaffen, Betroffene direkt zu unterstützen, Ansprüche gegen die Jobcenter durchzusetzen, Wohnverhältnisse zu verbessern und die dafür notwendige Vernetzungs- und Bündnisarbeit mit den lokalen Gewerkschafts-, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden voranzutreiben.

VI. Der Kreis schließt sich

Durch die Migrationsbewegungen und Ausbeutungsketten quer durch Europa werden die scheinbar unvergleichbaren Lebenssituationen in den Armutsregionen der Welt direkt hierher geholt. Das globale Dorf, in dem die unterschiedlichen sozialen Realitäten zusammentreffen – das sind zur Zeit auch wir. Vielleicht liegt darin eine Chance, unterschiedliche Ansätze des Widerstands zusammenzubringen. Wir stellen zur Diskussion, ob der Schlüssel dazu in den Fragen eines menschenwürdigen Mindesteinkommens, der Nahrungsmittelproduktion und des Umgangs mit Natur und Tieren liegt. Wenn Würde und Autonomie der Kranken, Alten, zu Pflegenden, Kinder und all der Care-ArbeitLeistenden zentrale Inhalte der Care-Revolution sind, dann erkennen wir in unserer Sozialberatung, Ämterbegleitung, direkten Unterstützung und Vernetzungsarbeit wesentliche Gemeinsamkeiten. Für uns stellt sich die Frage, wo die unterschiedlichen praktischen Ansätze faktisch zusammenkommen können. Zumindest in Oldenburg gibt es bisher noch keine direkten Verbindungen zwischen den Auseinandersetzungen in den klassischen Pflege- und Erziehungsbereichen und unserer Praxis. Vielleicht sind für eine spätere Diskussion ein paar ältere Überlegungen zu „sozialen Zentren“ hilfreich.4


ALSO, 1. August 2016

 

Anm. 1:

Vgl. Dr. Schultz: http://www.linkes-forum-oldenburg.de/alternativen/243-brexit.html Siehe dort auch These 8: „Ein fiktives linkes Sofort- und mittelfristiges Programm für Europa müsste, um als ein Signifikant von wahrer Gleichheit bei echter Freiheit vor dem Hintergrund einer sozialen Grundversorgung erfolgreich zu sein, mindestens folgende Elemente umfassen:

1. Bruch mit den alten Führungsfiguren und -strukturen der EU, d.h. Abtritt von Mario Draghi mit seiner dubiosen Vergangenheit bei Goldman Sachs, von Jean-Claude Juncker mit seiner Zeit als Ministerpräsident in Luxemburg, in der die Steuerschlupflöcher dort gesetzlich beschlossen worden, die er heute angeblich bekämpft, von Martin Schulz, der in der Durchsetzung der Schuldknechtschaft des griechischen Staates eine so unrühmliche Rolle gespielt hat.

2. Aufrechterhaltung der Freiheit der Migration mit Wegfall aller Binnengrenzen der EU.

3. Einführung eines europaweiten einheitlichen Mindesteinkommens für Arbeitslose und Rentner in Höhe eines regional angepassten Hartz IV Satzes, aber zu den Bezugsbedingungen von ALG I.

4. Rekonstruktion eines öffentlichen Sektors mit dem Ziel einer wachsenden Dominanz gegenüber dem Privatsektor. 

5. Durchsetzung gleicher Lebensverhältnisse für alle als Aufgabe des öffentlichen Sektors innerhalb von 15 Jahren. D.h. massive Investition in ein europaweit gleiches hochentwickeltes Gesundheitssystem, Bildungssystem und Transportwesen mit (kosten-) freiem und gleichem Zugang zu Krankenhäusern, Polikliniken, Kindergärten, Schulen und Universitäten. 

6. Ausbau eines ökologisch orientierten, ganz Europa integrierenden öffentlichen Nahverkehrs mit niedrigen Preisen. Verwirklichung technologischer Prestigeprojekte wie z.B. Magnetschwebebahn vom Norden in den Süden und vom Westen in den Osten Europas anstelle von wachsendem innereuropäischen Flugverkehr. 

7. Neuausrichtung der Energie- und Umweltpolitik in Richtung des alten erneuerbaren Energiegesetzes mit Dezentralisierung der Energieproduktion und hochtechnologischem Netzausbau incl. der Internetverbindungen.

8. Neugestaltung der europäischen Landwirtschaft in Richtung eines schnell wachsenden Anteils ökologischen Anbaus und eines schnell sinkenden Anteils industrieller Fleischproduktion.

9. Formulierung eines realistischen Projekts für die Ausweitung des europäischen Sozialstandards und europäischer Demokratiestrukturen auf nicht europäische Länder und Abbau aller internationalen Ausbeutungsketten über einen Zeitraum von 50 Jahren.“

 

Anm. 2:

Ähnlich, wie sie auch in der Werkstatt-Einladung formuliert werden: • „Stärkung des Netzwerks Care Revolution: Das bedeutet eine Zusammenarbeit von Initiativen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen und mit verschiedenartiger politischer Schwerpunktsetzung. • Ausreichende finanzielle Mittel für alle, um die eigene Existenz zu sichern, sowie ausreichende Zeit, um neben der Erwerbsarbeit die Sorge für nahestehende Menschen und für sich selbst bewältigen zu können und Zeiten der Muße übrigzubehalten. • Ausbau einer sozialen Infrastruktur, die Sorge und Selbstsorge tatsächlich unterstützt. • Demokratische Selbstverwaltung im Care-Bereich bei gleichzeitiger Zurückdrängung des Privatkapitals. • Echte Teilhabe an gesellschaftlichen Entscheidungen der Gesamtökonomie und -politik durch u.a. Räte-Systeme, überregionale Abstimmung und demokratische Kontrolle. • Diskriminierungsfreie Gesellschaft und damit keinen Ausschluss, keine Benachteiligung und keine Privilegien von als Andere markierten Gruppen.“

 

Anm. 3:

http://www.aufrecht-bestehen.de/downloads. Siehe dort auch die anderen Materialien zu Kampagne.

 

Anm. 4:

Soziale Zentren: „Basislager“ der Care-Revolution? Soziale Zentren in allen Städten Erstens sollte es in allen Städten soziale Zentren mit vielen Räumen, mit moderner Kommunikationstechnik, mit Möglichkeiten zum Treffen, aber auch zur Alltagsgestaltung mit Küche und Kultur geben. Das wäre ein Stück notwendige Infrastruktur für Vernetzungen verschiedener alternativer Ansätze. Unabhängige Beratung als Ausgangspunkt Zweitens sollte das soziale Zentrum Basis für unabhängige Beratung und Ausgangspunkt für Aktionen in den verschiedenen Ämtern und Behörden werden. Zahltage und Begleitschutz in Jobcentern seien hier nur als Beispiele genannt. Auseinandersetzungen mit Behörden finden nicht nur im Bereich der Arbeitslosigkeit statt, Alte und nicht Erwerbsfähige müssen zum Sozialamt, Studenten müssen zum Bafög-Amt, Kranke müssen zu den Krankenkassen, Rentner müssen zur Rentenversicherung, Mieter müssen zum Energieversorger und zur Wohnungsbaugesellschaft, Eltern müssen zum Jugendamt und zur Schulbehörde, usw. In allen Angelegenheiten geht es um eine ausreichende Existenzsicherung, Lebensqualität und Würde. Und dabei spielt immer die Frage eine zentrale Rolle, wie wollen wir in unserer Kommune leben und welche  Aufgaben und welche Qualität haben dabei öffentliche Einrichtungen, Versicherungen und private Dienstleister?! Solidarische Ökonomie praktizieren Drittens sollte das soziale Zentrum Formen der solidarischen Ökonomie praktisch unterstützen, wo es möglich ist: Kochgemeinschaften, Einkaufs- und Produktionsgenossenschaften, Wohn- und Energiegenossenschaften, Tauschbörsen, Vernetzungen in den regionalen Raum. Soziale Zentren als Ausgangs- und Koordinierungspunkt für Aktionen und Kampagnen Viertens könnte das soziale Zentrum Ausgangs- und Koordinationspunkt für Aktionen, Kampagnen und Kämpfe werden, die sich im weiteren Verlauf der Krise ergeben werden. Hier wäre die Aufgabe, Kommunikation und Verbindungen herzustellen zwischen den Auseinandersetzungen in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Basisdemokratische, undogmatische und offene Diskussion über alternative Modelle Fünftens wäre zentrale Aufgabe des sozialen Zentrums, eine basisdemokratische, undogmatische und offene Diskussion über die weitergehenden gesellschaftlichen Ziele der verschiedenen Bewegungen in Gang zu bringen und so theoretisch wie praktisch gegen den Verlust der Utopie in der linken Bewegung anzugehen. Aufgaben, Anerkennung, Allgemeinwohl Die Menschen werden nur dort noch sich engagieren und mit Herzblut einbringen, wo sie sich auch persönlich wohlfühlen, wo sie eine Aufgabe haben, für deren Erledigung sie Anerkennung und Erfolg bekommen. Unsere Chance ist, dass die kapitalistischen Arbeitsverhältnisse durch zunehmenden Stress dieses Versprechen immer weniger halten können. Aber dafür müssen wir die Utopie einer moralisch integren, demokratischen und gerechten Gesellschaft als Menschen praktisch auch schon heute leben, soweit das möglich ist. Subjekt der Veränderung zu sein, ist nicht mehr abhängig von irgendeiner objektiven Position in der Gesellschaft: Gesellschaftsbewusstsein ersetzt Klassenbewusstsein