ergänzte Materialien

 

 

Wertbegriff bei Marx

[Eine sehr gelungene Zusammenstellung von direkte Zitatstellen zu dieser Frage findet sich unter:

www.marx-forum.de/marx-lexikon/lexikon_a/prod_arbeit.html]

 

Wie kommt es zur Postulierung des Wertbegriffs?

•     Zwei Personen stellen unterschiedliche Waren her (per Arbeitsteilung).

•     Die Beziehung der Personen ist gleichwertig (keine kann die andere durch Gewalt übervorteilen)

•     Dann bleibt als Vergleichsbasis nur die abstrakte Arbeitszeit, die die beiden Personen investiert haben, wenn der Tausch gerecht sein soll (ansonsten instabil, weil eine Person wird bei ungerechtem Tausch langfristig aussteigen).

•     Wert entsteht also durch die Übertragung von Arbeit auf das Produkt („lebendige Arbeit“ schafft Wert, tote Arbeit bedarf lebendiger Arbeit).

 

Was bedeutet diese Annahme weiter?

•     Diese Übertragung steht in Konkurrenz mit anderen „Übertragungs-“geschwindigkeiten

•     Wert wird realisiert auf dem Markt (d.h. es gab vorher keine gemeinsame Kalkulation, was und wie viel zu produzieren ist)
-> „Vergegenständlichung“, „Entfremdung“

•     Ob eine konkrete Arbeitszeit der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit entspricht, entscheidet der Markt, sowohl hinsichtlich Dauer als auch hinsichtlich „Notwendigkeit“ (Nachfrage).

 

Wie entsteht Mehrwert?

•     Ziel des kapitalistischen Produktionsprozes-ses ist die Aneignung von Mehrwert.

•     Mehrwert kann nur durch Aneignung von Arbeitszeit entstehen.

•     Mehrwert basiert darauf, dass die notwendige Arbeitszeit zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft (d.h. ihr Wert) geringer ist als die Zeit, die diese konkrete Arbeitskraft arbeiten kann.

•     Profitrate drückt sich dann m/(c+v) aus

 

 

Probleme der Werttheorie

1. wie wird der Tauschwert der Ware Arbeitskraft bestimmt?

•     Nach der Marxschen Theorie ist die Ware Arbeitskraft eine Ware wie jede andere.

•     Ihr Tauschwert ergibt sich dadurch im Handel (Anstellung gegen Lohn) und pendelt langfristig um ihre Reproduktionskosten.

•     Faktisch ist aber der heutige Lohn ein „politischer“ Lohn, der durch staatliche Interventionen massiv beeinflusst wird.

•     Damit bleibt eine Lücke, was den Wert der Ware Arbeitskraft real determiniert.

•     Insofern könnte die politische Fokussierung auf das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital inzwischen obsolet sein (-> „Planstaat“).

 

 

Probleme der Werttheorie

2. wie determiniert sich die Menge der notwendigen Arbeit zur Reproduktion einer Ware?

•     Nach Marx entspricht der Tauschwert (im Idealfall bzw. statistischen Durchschnitt) der in die Waren investierten Arbeitszeit (Problem der
→ Boden-Rente als Hereinreichen der Natur).

•     An einer komplexen Produktion sind unterschiedliche Personen beteiligt, die arbeitsteilig vorgehen (Wissenschaftler, Ingenieure, Angestellte und Arbeiter), und die jeweilige Zusammensetzung unterscheidet sich von Firma zu Firma deutlich.

•     Wodurch wird dann determiniert, was welche Arbeit in einem solchen Arbeitsprozess wert ist (Höhe des Lohns von Arbeitern und Ingenieuren)?

•     Welchen Wert hat kreative und wissenschaftliche Arbeit, wenn es keine klaren Zeitstrukturen für das Entstehen von Ideen gibt (evtl. eine Pseudofrage)?

•     Wissenschaftlich und politisch folgen daraus mindestens zwei Sachverhalte:

•     Der Wert der Ware Arbeitskraft schwankt mit dem durchschnittlichen ökologischen Surplus der Natur, weil dies die Arbeitszeit zur Reproduktion der Bevölkerung beeinflusst.

•     Der Wert der Ware Arbeitskraft schwankt mit der „Kooperationsfähigkeit“ während der Arbeit („Biopolitik“).

•     Der Wert der Ware Arbeitskraft schwankt mit der Produktivität allgemein menschlicher Arbeit („kreative und wissenschaftliche Arbeit“ wird bedeutsamer).

 

 

Probleme der Werttheorie

3. Wann ist eine Arbeit produktiv?

•     Produktive Arbeit ist nach Marx solche die Mehrwert produziert.

•     Damit ist Kaufmannstätigkeit keine produktive Arbeit, weil diese dem Produkt keinen Wert zufügt (keine „Basarökonomie“, sondern Entwicklung der Produktivkräfte ist Telos der Produktionsweise).

•     Kaufmannstätigkeit ist beteiligt am Mehrwert, erzeugt aber keinen. Sie sorgt indirekt für die Erhöhung der Mehrwertrate, indem sie die Zirkulationskosten des Kapitals drückt.

•     Allerdings erfüllt das Arbeitsverhältnis eines Verkäufers formal die Definition produktiver Arbeit. D.h. die Unterscheidung zwischen verschiedenen Tätigkeiten der gesellschaftlichen Produktion bedeutet dann ein Verlassen der einfachen Wertdefinition durch produktive Arbeit.

•     Das gilt auch für andere Berufszweige.

•     Arbeit als „Dienstleistung“ (Zeitarbeit, Entwicklungsarbeit, Systembetreuung etc.) kann direkt Mehrwert produzieren, wenn sie für einen Zweck erbracht wurde(G - W – G').

•     Staatlich angestellte Lehrer erzeugen dagegen keinen Mehrwert, weil sie nicht in einem Kapitalverhältnis arbeiten.

•     Trotzdem kann ihre Tätigkeit indirekt relevant für die Mehrwertrate sein, denn durch die Tätigkeit von Lehrern, Pflegekräften, Ärzten etc. kann die Arbeitszeit zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft gesenkt werden.

•     Daraus folgt, dass solche Arbeit sich indirekt auf die Profitrate auswirkt, aber nicht direkt Mehrwert erzeugt.

 

 

•     Daraus folgt weiter, dass ab einer bestimmten Industrialisierung der Gesellschaft die gesellschaftlichen Reproduktionskosten für die Ausbildung, Verteilung und Gesundheitsversorgung der Ware Arbeitskraft womöglich zentraler sind als die direkten physischen Reproduktionskosten (siehe Anteil Sozialausgaben am BIP; siehe die spätere Wende der keynesianistischen Theorie in Richtung Infrastrukturförderung und Bevölkerungspolitik).

•     Daraus folgt aber auch, dass historisch das Kaufmannskapital im Verhältnis zum industriellen Kapital sinken und der Wert der Abteilung I zur Abteilung II steigen muss (Hypertrophie der Abteilung I, tendenzieller Fall der Profitrate, Krise der US amerikanischen Ökonomie)

 

Man könnte argumentieren, dass unproduktive Arbeit in Form von Ausbildung, Arbeit im staatlichen Gesundheitswesen usw. inzwischen die gleiche Formbestimmung zeigt wie produktive Arbeit, z.B. wegen wechselseitiger Konkurrenz und weil die Gesellschaft zu komplex und vernetzt ist und damit der Unterschied zwischen obigen Bereichen schwindet.

Dieses Argument ignoriert aber z.B., dass je höher die Anzahl der Arbeiter im öffentlichen Sektor, desto geringer die gesamtgesellschaftliche Mehrwertrate, weil Arbeitskräfte im produktiven Sektor fehlen.

Der Unterschied ist zudem weiterhin empirisch relevant. Das zeigt der andauernde Versuch des Kapitals, staatliche Sektoren zu privatisieren. Mit der Privatisierung ändern sich immer auch der Charakter der Arbeit, die Arbeitsplatzsicherheit und die Produktionsausrichtung der Arbeitsbereiche. Insgesamt wird die Arbeit in der Regel intensiver und eindimensionaler und ist im Ergebnis nicht unbedingt vorteilhafter für die Gesamtgruppe der Nutzer der Einrichtungen.

Dafür gibt es hinreichende Beispiele aus dem Bildungsbereich, dem Gesundheitswesen, dem Verkehr etc.

 

Umwandlung von unproduktiver (staatlich oder sozial kontrollierter Arbeit) in produktive Arbeit bedeutet, dass nicht mehr die Akkomodation (politisch-moralisch bestimmte Mimesis an den Bestimmungszweck) das Arbeitsziel determiniert, sondern umgekehrt die Assimilation der vorhandenen Bedürfnisse an die profitablen Teile der Produktion, nämlich als G – W – G‘ (die eigentliche Gesellschaftlichkeit der Arbeit erscheint nur noch als Wertbestimmung).

Die übrigen nicht assimilierbaren „Kosten“ werden externalisiert bzw. die vorherigen individuellen und öffentlichen Ansprüche an den Arbeitsprozess vergessen.

 

 

Probleme der Werttheorie

4. Chronische Legitimationsprobleme unproduktiver Arbeit?

Man könnte hier allerdings auch ein weiteres Problem der Werttheorie erkennen, nicht in ihrer ökonomischen Bedeutung, sondern in ihrer sozialen, moralischen und geschichtsphilosophischen Verankerung.

Denn die Delegation der Entscheidung über die konkrete Verausgabung der Arbeitszeit an den Markt bedeutet eine weitgehende moralische Entlastung für die Akteure, eben weil sie dadurch entfremdet arbeiten.

Produktive Zerstörung von Kapital, Arbeitsplätzen und selbst von Leben erscheint nicht mehr als gesellschaftliche Entscheidung, sondern als Schicksalsmacht der Märkte, was extrem entlastend wirkt.

Der Wertbegriff erfasst die Form, in der die Gesellschaft ihre Arbeitszeit verteilt: blind gegenüber der eigentlichen Determination, d.h. als Preise und deren scheinbaren Bestimmung durch Angebot und Nachfrage. Die Gesellschaftlichkeit der Arbeit hat sich den Arbeitenden gegenüber entfremdet, was gleichzeitig Entlastung und Herrschaftsform darstellt.

Die Umkehrung dieses Verhältnisses stellt aber nicht unbedingt die Lösung dar, weil eine historisch sich entwickelnde Gesellschaft immer eine gewisse Unsicherheit impliziert (siehe z.B. die Probleme im öffentlichen Sektor, zusammen mit den Nutzern produktive Veränderungen zu finden und zu realisieren).

 

Unproduktive Produktionssektoren, d.h. solche, die nicht markt- bzw. mehrwertorientiert arbeiten, müssen sich immer moralisch legitimieren.

Zudem ist Assimilation, d.h. die scheinbare Entbettung aus dem Gesamtzusammenhang der gesellschaftlichen Reproduktion, auf kurze Sicht effektiver als die Akkomodation an diese. Das zeigt die Geschichte der ehemaligen Regime im Osten genauso wie die der Alternativökonomie.

Die Neubestimmung des Begriffs des Privateigentums und der moralischen Wurzeln des Commons könnten hier eine Lösung bieten („Mehrwert gleich entfremdeter Common?“).

 

 

Probleme der Werttheorie

5. Welche Bedeutung hat die Werttheorie für die gesellschaftliche Reproduktion?

•     Wert entsteht durch Verausgabung von Arbeitskraft, Mehrwert durch längere Verausgabung als notwendig für die Reproduktion der Ware Arbeitskraft.

•     Dabei herrscht aber nur scheinbare Willkür und Beliebigkeit: die Gleichgewichtsbedingung v1 + m1 = c2 bedeutet, dass der Wert des konstanten Kapitals der Konsumgüter produzierenden Industrie in the long run dem Wert der Ware Arbeitskraft in der Produktionsmittel erzeugenden Industrie entsprechen muss.

Die Relation der Werte muss somit mindestens den einen Grundstandard erfüllen, dass nämlich die Gesellschaft sich reproduziert.

•     Die Menge der Arbeitszeit, die eine Gesellschaft für die Erzeugung von Produktionsmitteln (incl. Forschung dafür usw.) ausgeben kann, ist determiniert durch die Menge an Produktions-mittel in der Konsumgüterindustrie (womit die Produktivität dieser Abteilung definiert wird, die dann auch erst die Arbeitskräfte für die Abteilung I freigeben kann) und determiniert damit auch indirekt die Mehrwertrate.

•     Zwischen dieser Betrachtung der Arbeitszeit als gesellschaftliche Gleichgewichtsbedingung und der konkreten Verausgabung von Arbeitszeit eines Individuums bestehen aber viele Abstraktionsschritte.

 

 

Argumente für die Werttheorie

•     Die Werttheorie verbindet ein soziologisches Problem (Freiheit und Gerechtigkeit in Gesellschaft, die über Tausch Reproduktion herstellt) mit einer ökonomischen Lösung, die diesem ihrem Anspruch widerspricht.

•     Dieses soziologische Problem ist keine Konstruktion, sondern eine soziale Realität: die Reproduktion der Gesellschaft, die faktisch einer Aufteilung der relevanten Arbeitsquanta entspricht, geschieht weitgehend ungeplant und ohne Zukunftsausrichtung (siehe die vorhersehbaren Konsequenzen der einsetzenden ökologische Krise, die erst post-hoc „eingepreist“ werden könnten)

Der Wertbegriff thematisiert auch die Absurdität des neo-liberalen Diktums, dass der Markt am besten die ökonomische Entwicklung regelt, bei gleichzeitiger Akzeptanz von Tausenden von Hungertoten oder lebenslanger Verarmung bestimmter Schichten, die als gesellschaftliche Mitglieder ihrer Zustimmung zu ihrem Schicksal „entfremdet“ werden.

Faktisch sind echter humanistischer Individualismus und Liberalismus moralphilosophische Gegensätze und das ist Inhalt des Wertbegriffs.

Der „Markt“ als einziger Regulator ist ein Terminus einer entbetteten, den Menschen entfremdeten Ökonomie, obwohl diese doch ein Hauptort ihres Sich-zueinander-verhaltens darstellt.

 

Argumente für die Werttheorie

Aus ihr lassen sich empirische Vorhersagen entwickeln: Wachstumsabhängigkeit marktwirtschaftlicher Gesellschaften, dauerhaftes Verhältnis von Real- zu Finanzakkumulation (siehe USA als Krisenzentrum), ökonomische Folgen der De-Industrialisierung bzw. von Industrialisierung in der Abteilung II (siehe Griechenland), Bedeutung von Arbeitskraft für Wirtschaftswachstum (incl. Bevölkerungspolitik und Migration, siehe Deutschland), spezifischer Charakter von Disproportionalitätskrisen, Grenzen der Akkumulation durch Grenzen der Subsumtion.

 

 

Wertbegriff extended

Innerhalb der kapitalistischen Produktion existiert der Wert in zwei Formen: als lebendige Arbeit und als tote, geronnene Arbeit.

 Die lebendige Arbeit teilt sich, wie gesagt, in m und v, also Mehrarbeit (Mehrwert) und notwendige Arbeit (variables Kapital).

Bezogen auf die lebendige Arbeit gilt für bestimmte Zeitabschnitte v + m = konstant (entspricht der gesellschaftlich vorhandenen Gesamtarbeitszeit)

 

 

Entwicklungsverhältnis
toter zu lebendiger Arbeit

Bezogen auf das Verhältnis von m zu v (d.h. der Mehrwertrate) gilt: je höher diese ist, umso schneller akkumuliert m als geronnene und tote Arbeit:

5/95: Zyklus 1: 5, 2: 10, 3: 15

10/90: Zyklus 1: 10, 2: 20, 3: 30

20/80: Zyklus 1: 20, 2: 40, 3: 60

In Zyklus 3 wäre also 15 tote durch 95 lebendige Arbeit, bzw. 30 durch 90 bzw. 60 durch 80 zu reproduzieren, was bei gegebener Gesamtarbeitszeit und organischer Zusammensetzung nicht möglich ist.

Soweit sich m addiert, wären wir bei einer exponentiellen Funktion

 

 

Zustandsformen von geronnener Arbeit

Geronnene Arbeit hat innerhalb der kapitalistischen Produktion mehrere Zustandsformen. Die beiden wichtigsten sind konstantes Kapital und zirkulierendes Kapital (Finanzkapital).

Da v + m = k, somit Realakkumulation historisch durch die Bevölkerungsgröße begrenzt  ist, folgt daraus, dass Finanzkapital tendenziell schneller wächst als Realkapital und zwar proportional um o schneller, je höher die Mehrwertrate ist.

 

 

Eine weitere Schlussfolgerung aus dem Verhältnis toter und lebendiger Arbeit

Daraus würde folgen, dass je höher die Mehrwertrate, um so häufiger Finanzkrise, solange in das System nicht in Form von massiver Kapitalvernichtung eingegriffen wird (z.B. Kriege, generell Militärausgaben, Ausgabe von Staatsanleihen, die direkt von der Bundesbank wieder aufgekauft werden usw.).

Oder anders ausgedrückt: je produktiver das System, umso instabiler ist es (was gerade nicht allgemeine Verelendung bedeuten muss, sondern nur die zunehmende Häufung von Krisen mit massiver Kapitalvernichtung)

 

 

Eine gesellschaftspolitische Folgerung

Werttheoretisch betrachtet bedeutet dieser Mechanismus, dass geronnene gesellschaftliche Arbeitszeit systematisch vernichtet werden muss, solange diese nur auf der Basis von Privateigentum an Produktionsmitteln verwertet werden kann.

Die Konsequenz daraus wäre nicht Nachfragestimulierung (mit weiterer Beschleunigung), sondern Aneignung von m für die Entwicklung von Common, d.h. systematischer Entzug aus dem privatwirtschaftlichen System.

 

 

Fin